Heute, um 24 Uhr in der Nacht auf den 6. Januar enden die Rauhnächte. Jene sagenumwobenen Nächte, in denen die Dämonen besonders leichtes Spiel mit uns Menschen haben und allerhand Schabernack und Boshaftes treiben. Wir haben dazu Cornelia Müller-Hisje gefragt, die u.a. als Schriftstellerin und Gästeführerin in Detmold wirkt und sich mit den Rauhnächten bestens auskennt!

Liebe Cornelia, eine grundsätzliche Frage vorweg: Was bezeichnet man als die Rauhnächte? Und wo liegt ihr Ursprung?

Die Rauh(!)nächte sind, mit regionalen Unterschieden, die Nächte zwischen dem 21. Dezember/Wintersonnenwende oder Thomastag und dem 6. Januar/Dreikönigstag oder Epiphanias. Es kann auch die Zeit zwischen dem 25. Dezember/Weihnachten und dem 31. Dezember bzw. 1. Januar oder erneut dem 6. Januar sein. Zumeist gilt Ersteres.
Bekannter als der Name „Rauhnächte“ ist der Begriff „zwischen den Jahren“, womit dann allerdings nur die Zeit zwischen Weihnachten und 6. Januar gemeint ist. Entstanden ist dieser Begriff aus den 12 Nächten Unterschied zwischen Mond- und Sonnenkalender. Die Mondphasen sind immer nur 28 Tage lang; ein Sonnenmonat dauert 30 bzw 31 Tage. Am Ende fehlen 12 Nächte.

Um diese Nächte weben sich mystische Erzählungen, altes Brauchtum und überlieferte Riten.
In den Rauhnächten, deren Name entweder von räuchern im Sinne von ausräuchern oder vom mittelhochdeutschen rûch = haarig, wegen der mit Fell bekleideten Dämonen, die angeblich ihr Unwesen treiben, kommt, soll die sogenannte “ Wilde Jagd“ zu sehen sein. Angeführt von dem nordischen Gott Odin und der Göttin Hulda jagen Geisterwesen, Tiere und Dämonen über den nächtlichen Himmel. Wehe dem, der ihnen in die Quere kommt. Sie nicht zu verärgern bzw. sie zu besänftigen, ist das Bestreben der durch Dunkelheit und den lebensbedrohlichen eisigen Winter verängstigten Menschen.
Der Ursprung der Rauhnächte ist in heidnischen Bräuchen zu suchen.

Die Rauhnächte, in ländlichen, vor allem alpenländischen Regionen, ja eh eine immer noch im Bewusstsein der Menschen, lebendige Tradition, erfährt seit Jahren auch in unseren modernen Gesellschaften eine Renaissance. Wie erklärst du dir das?

Ich denke, viele Menschen haben ihren Halt verloren. Sie wissen nicht mehr, was richtig und falsch ist. Es fehlt die moralische Instanz, die durchgreift, Regeln setzt, lobt und straft. Diese Instanz war mal der christliche Glaube, der Glaube an Gott. Seit sie diesen verloren haben, suchen sie Ersatz und den finden sie im Mystischen, in der Magie. Je härter die Realität wird, der Druck des Alltags und die Weltpolitik, um so mehr wird eine Welt gesucht, die Lösungen bietet, die Gut und Böse klar unterscheidet, wo Hoffnung ist. Übersehen wird dabei, dass diese alten Riten und Traditionen sehr handfeste Forderungen stellen und die Ratschläge auch nicht mal eben hingenommen werden können, wenn man sie denn ernst nehmen will. Es ist nicht mit Ritualen allein getan.

Wir feiern dieses Jahr 500 Jahre Reformation. Die Reformatoren haben alle Mystik, die für sie Brimborium war, aus den Kirchen und der Religion verbannt. Für sie galt nur noch das Wort. Das war wohl etwas viel verlangt von den Menschen. Keine Heiligen mehr, keine verehrungswürdige Mutter Gottes, kein Weihrauch, keine Beichte – gut, dass es noch Hexen gab, die man denunzieren konnte und mit deren Hinrichtung man das Böse vernichtet hatte! Alles zu Gottes Ehr!
Jetzt haben wir das Resultat: der Glaube hat keine Mystik mehr. Der Mensch, verloren in der harten Realität, folgt lieber der Wilden Jagd und das nicht nur zu den Rauhnächten. Fantasyromane und entsprechende Filmserien, die einen Mix aus History und Fantasy zeigen, helfen,die Wirklichkeit zu vergessen. Magie und Zaubersprüche helfen aber nicht bei realen Problemen.

Tradition bewahren als Teil der eigenen historischen Identität in einer Gemeinschaft ist eines (z.B. beim Perchtenlauf), aber Realitätsflucht in etwas Nettes, Weichgespültes, zu dem gar keine echte, fundierte Verbindung besteht, etwas anderes.

Inwieweit können wir die Rauhnächte auf unser modernes Leben anwenden?

Es gibt einige Forderungen, die ich als Göttin Hulda immer an meine Gäste stelle. Manche werden laut belacht, andere abwertend belächelt, doch sie haben ihren Sinn.
So verlange ich, dass sie in dieser Zeit nicht arbeiten sollen. Großes Gelächter! Klar, auch ich musste in den vergangenen Jahren arbeiten, aber tut es denn Not, nur wegen dieser Feiertage in Hektik auszubrechen, so als gäbe es nur Weihnachten zu feiern? Und warum so aufwändig? Ursprünglich war bis 6. Januar Fastenzeit. Abgesehen davon, dass Weihnachten ursprünglich am 25. Mai gefeiert wurde…

Die Natur ruht, der Mensch, mit der Natur im Einklang, ruhte auch, um wieder Kraft zu schöpfen. Zeit zu reflektieren, zu danken, zu meditieren, zu beten, sich auszutauschen, sollte man sich in dieser Zeit nehmen. Das muss nicht Tage und auch nicht Stunden dauern.

Wenn Hulda verlangt, dass das Haus aufgeräumt, man selbst gewaschen und frisch gekleidet ist, so ist das auch sinnbildlich zu verstehen. Dein Leben ist das Haus, das aufgeräumt sein soll. Du sollst Dich vom Schmutz und Unrat in Deinen Gedanken und Deinem Herzen reinigen und durch die saubere Kleidung wieder zum unbeschriebenen Blatt werden. Du sollst Schulden begleichen, Streitereien beenden, begangenes Unrecht wieder gut machen – alles Ratschläge, für die es keiner Mystik und keiner Magie bedarf. Man muss sich nur darauf einlassen.

Als Verkörperung der Göttin Hulda habe ich dich sehr eindrucksvoll bei einer Exkursion während der Rauhnächte an den Externsteinen erlebt. Gibt es noch mehr bekannte Märchengestalten, die ihren Ursprung in den Rauhnächten haben?

Neben den Gestalten des Odin mit seinen Raben und Wölfen und der Hulda, also Frau Holle, kennt man in Süddeutschland, im österreichischen Alpenraum und in Osteuropa noch die Perchten. Dieses sind gute und böse Dämonen, die mit Masken und Fellen unter viel Lärm einerseits  den Winter austreiben, andererseits die Ernährungs-, Sauberkeits- und Arbeitsvorschriften überprüfen sollen. Zurückgeführt werde diese auf römische und/oder germanische Bräuche zur Winterzeit. Andere Figuren kenne ich nicht.

Im letzten Blogbeitrag haben wir Catalina Corvos bitter-schwarze Story Thomasnacht unseren Lesern in voller Länge präsentiert. Kannst du uns speziell etwas zur Thomasnacht erzählen?

Zum Thomastag weiß ich nicht viel. Es ist die Wintersonnenwende, die längste Nacht des Jahres. Am 21. Dezember beginnen die Rauhnächte und die Anderwelt ist offen. Um die bösen Dämonen zu bannen, werden in einigen Gegenden 12 Tage lang die Kirchenglocken geläutet.

Thomasnacht ist aber auch die Nacht der Orakel und Weissagungen. Thomas als Schutzheiliger der Liebenden und des Ehestandes beantwortet die drängenden Fragen um das Liebesglück.
Am Thomastag wurde außerdem die Mettensau geschlachtet, damit man an Weihnachten, wenn die Fastenzeit endete, Fleisch essen konnte.

Heute enden die Rauhnächte. Was hat es mit dieser letzten Nacht auf sich?

Genau gesagt, erst am 6. Januar, Dreikönigstag oder Epiphanias, enden die Rauhnächte. Ein letztes Mal werden Haus und Stallungen mit Weihrauch ausgeräuchert, um auch den letzten Dämon zu vertreiben. Die Tage werden bei jedem Sonnenaufgang um einen Hahnenschrei länger. Die Macht des Winters ist gebrochen.

Zeit, eine letzte Kerze anzuzünden, oder? In deinen Vorträgen und Exkursionen gibt du sowohl aus historischer Sicht dein Wissen preis, verkörperst auf deinen mystischen Führungen aber, wie geschildert, auch zum Beispiel die Frau Holle. Glaubst du selbst an die Magie der Rauhnächte?

Nein, für mich geht es nicht um Magie, und ich habe auch keine Verbindung zur Mystik der Rauhnächte. Nachdem ich viele Jahre in dieser Zeit gearbeitet habe, freue ich mich sehr, dass ich mich jetzt an einen ruhigen Ort zurückziehen darf. Ich habe es schon immer geschätzt, am Silvesterabend einen Gottesdienst zu besuchen und damit das Jahr zu beschließen. Mit etwas Glück gibt mir der Pfarrer oder die Pfarrerin noch etwas Nachdenkenswertes mit auf dem Weg ins Neue Jahr. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich inzwischen ganz im Sinne der Rauhnächte verhalte. Ich bleibe ruhig zu Hause, rekapituliere in dieser Zeit das vergangene Jahr und blicke vorwärts. Ich fasse keine unsinnigen guten Vorsätze, aber versuche, klarer zu sehen und meine Wünsche zu formulieren. Dabei ist ein Gebet für mich durchaus ein probates Mittel, um Dank zu sagen und Erkenntnis zu erbitten.

Längst weiß ich, dass das Neue Jahr keinen neuen Menschen aus mir machen wird und dass auch meine Probleme nicht einfach um Mitternacht gelöst sind. Energie und Hilfe fallen nicht wie Manna vom Himmel. Ich allein bin mein Herr und mein Knecht. Es liegt an mir, was ich aus dem Neuen Jahr mache. Da schützt mich kein Weihrauch, kein Milchschälchen vor der Tür und keine offene Hintertür lässt das Glück herein.

Du hast selbst einige Romane geschrieben. Vielleicht kannst du uns dazu etwas erzählen?

Ich habe zwei historische Romane veröffentlicht. „Cornelius Lupus – der Wolf des Arminius“ berichtet dabei auch von einer germanischen Seherin, doch sie ist nicht mystisch, sondern sehr gegenwärtig. Interessanterweise ist ihr Gegenspieler, der römische Tribun, viel mystischer veranlagt als sie, aber er lehnt diese Möglichkeit ab. Zwar ist dieser historische Roman Fantasie, aber nur insoweit, als es die Figuren entweder gar nicht gab oder wir, wie bei Arminius, nur wenig über sie wissen. Den historischen Hintergrund erarbeite ich mir durch Fachliteratur. Die Geschichte, die ich erzähle, ist so gut fundiert wie nur möglich. Ich tue mich sehr schwer im Bereich der Mystik und der Fabelwelt.

Auftritte als Hulda oder als Urd, die Norne der Vergangenheit, erarbeite ich mir und verkörpere sie wie ein Schauspieler es macht, aber ich mache mir nicht ihr Denken zu eigen, und so ist es in gewisser Weise auch bei meinen Büchern: da die Figuren von mir kommen, können sie nicht über meinen Schatten springen.

„Lupus“ war und ist mir ein großes Anliegen. Ich habe 2009 Studienreisen zum Thema Varusschlacht geführt und mich intensiv mit Arminius und seiner Zeit beschäftigt. Danach musste ich dieses Buch schreiben. Naja, man trägt nicht ungestraft einen römischen Namen und wird in Detmold in der Hermannstraße geboren.

„Der Ritter der Rose“ hat auch nicht viel mehr historischen Hintergrund als der Lupus, aber das Leben im Hochmittelalter ist erheblich umfangreicher dokumentiert als die römische Eroberung Germaniens. So kann ich die Lücken zwischen den Fakten mit Geschichten auffüllen, die historisch wahrscheinlich oder möglich sind. Man ist hier aber auch viel angreifbarer, weil viele Leser bereits ein umfangreiches Wissen über diese Zeit haben. Die Recherche ist sehr aufwendig gewesen. Das Buch ist derzeit leider ausverkauft. Ich muss nachdrucken lassen.

Pläne für weitere Projekte gibt es und es ist auch wieder was „in der Mache“.  Ich werde im kommenden Jahr aber zwei neue Stadtführungen in Detmold anbieten, eine davon zur Reformation in Detmold, sodass ich im Moment keine Zeit für die geschichtliche Erarbeitung der beiden Romane habe, deren Entwürfe schon im Schreibtisch liegen. Vielleicht zum Jahresende, in den Rauhnächten …

Vielen Dank, Cornelia, für deine sehr interessanten Erläuterungen! Ich wünsche dir viel Erfolg für deine Projekte und alles Gute für 2017!

Das Foto zeigt Cornelia Müller-Hisje in der Verkörperung der Göttin Hulda. Foto: Stefan Radek