Manchmal verstehen sich zwei Menschen einfach auf Anhieb. Als ich Catherine Parker und Malte S. Sembten (Rüdiger Silber) 2014 jeweils einen Teilroman zu DORIAN HUNTER Band 77 „Die Knochenkirche“ übertrug, rechnete ich mit der üblichen Art von Zusammenarbeit: Man spricht ein paar Eckpunkte ab, die ich in den Exposés offen gelassen hatte, verständigt sich über den Anschluss der beiden Romane zueinander, und macht dann größtenteils sein eigenes Ding. Schreiben ist meistens ein relativ einsamer Job.
Stattdessen durfte ich einen sehr regen Mailwechsel zwischen meinen beiden Autoren beobachten. Es ging schnell nicht mehr einfach darum, Dinge abzusprechen. Man konnte richtig zusehen, wie sich die beiden gegenseitig inspirierten.
Sobald sich die Gelegenheit ergab, bekamen die beiden deshalb wieder einen gemeinsamen Band: DORIAN HUNTER 85 „Die Lebensuhr“. Leider kam es aber anders als geplant. Hier berichtet Catherine Parker über die Arbeit ohne Malte und über ablaufende Lebensuhren.

Schon lange im Voraus hatte ich mich auf diesen Serienband gefreut, weil geplant war, dass ich ihn gemeinsam mit Malte S. Sembten (Rüdiger Silber) schreiben sollte. Mit Malte zu arbeiten bedeutete, sich intensiv per Mail auszutauschen, über Figuren zu diskutieren, Szenen und Schauplätze abzustimmen. Mit ihm zu arbeiten war unglaublich inspirierend. Doch dann verstarb er kurz vor Beginn. Kaum älter als ich, viel zu früh.

Und ich sah mich plötzlich in der Situation, nicht nur ohne Maltes kluge und bereichernde Mails arbeiten zu müssen, sondern seinen Part mit zu übernehmen und den kompletten Band allein zu schreiben. Das ging nur, indem ich die Zähne zusammenbiss und anfing.

Während im Hintergrund die Deadline bereits zu ticken begann, vergrub ich mich tief in Hunters Vergangenheit. Dort tickte es ebenfalls. Der aktuelle Band „Die Lebensuhr“ spinnt den Faden einer Geschichte weiter, die einst unter dem Titel „Das Heer der Untoten“ von Hugh Walker erzählt wurde (s. Band 20).

Für mich ist es immer spannend, einen so direkten Serienbezug zu haben. Informationen einflechten zu können, die Kennern der Serie sofort auffallen – Namen, Orte, Gegebenheiten. In diesem Fall taucht mit Mother Goose und ihrem unheimlichen Haus voller Uhren eine Episode aus Dorians Jugendzeit auf. In Hugh Walkers Roman ist Dorian zunächst „Woody“, ein verschlossener Internatsschüler, der in das Hexenhaus einbricht und eine Uhr mitnimmt, die sich später als seine Lebensuhr entpuppt. Nebenbei verliebt er sich in ein geheimnisvolles blondes Mädchen namens Irene, das bei Mother Goose lebt. (Ich gestehe, es hat mich extrem irritiert, dass er von diesem Mädchen „Dory“ genannt wird – Dory, der Dämonenkiller? Echt jetzt? Nee, oder? – und so habe ich darauf verzichtet, das zu übernehmen.) Außerdem muss er sich mit dem titelgebenden Heer der Untoten herumschlagen.

Die Herausforderung für mich bestand nun darin, anhand des Exposés eine neue Geschichte zu verfassen, die der ursprünglichen Story nirgends widerspricht und wesentliche Details berücksichtigt. Um Facetten hinzuzufügen, erschien es sinnvoll, die Erzählperspektive zu wechseln. Im aktuellen Band sind viele Ereignisse der Vergangenheit in rückblickenden Kapiteln als Irenes Tagebuch eingeschoben. So bekam die frühere Geschichte einen neuen Rahmen. Ergänzungen und Erweiterungen waren problemlos möglich. Allerdings entpuppte es sich als Spagat in Figurenpsychologie, den Charakter dieses leicht naiven Mädchens im Kern beizubehalten, ohne dabei zu vergessen, für welches Genre ich hier eigentlich schrieb. (Um zu vermeiden, in die Dory-Falle zu tappen und später ganze Textpassagen in die Tonne treten zu müssen, überlegte ich schon, mir ein Post-it „NO ROMANCE“ an den Bildschirm zu kleben.)

Einige von Dorians Mitschülern im Internat, die in Hugh Walkers Episode eine Rolle spielten, tauchen auch in meinem Roman auf. Der kleine Georgie zum Beispiel. (Ich habe mir strikt verboten, ihn einen Regenmantel tragen zu lassen …)
Selbst erdachte Nebenfiguren haben natürlich den Vorteil, dass sie nicht an einem Vorbild gemessen werden und somit viel freier agieren können. Bobby ist z.B. ein solcher Junge.

Es war übrigens eine seltsame Begleiterscheinung des Schreibens an Band 85, dass es ständig in meiner Umgebung zu ticken schien. Tick-Tack, Tick-Tack – lief hörbar die Zeit ab. Galt das wirklich nur meiner unablässig näher rückenden Deadline? Plötzlich nahm ich Uhren wahr, die mir sonst noch nie aufgefallen waren. Manchmal weht ein Hauch des Unheimlichen aus der Fiktion ins reale Leben einer Autorin. Ich fürchte mich nicht vor Untoten. Dämonen bescheren mir keine Alpträume. Aber Vergänglichkeit ist ein schwieriges Thema.

Vor allem, wenn diese Vergänglichkeit so verdammt laut tickt.

R.I.P. Malte