Die fertig geschriebenen Teilromane für Band 97 sind gerade erst bei mir in den Postkasten geflattert, deshalb möchte ich noch nicht allzu viel darüber verraten. Aber für alle, die Band 96 bereits durchgelesen haben und nun gespannt auf den nächsten warten, habe ich hier einen kleinen Teaser. So viel vorweg: Wir begegnen Hugo Bassarak wieder und er ist inzwischen in seine Heimat, Frankreich, zurückgekehrt. Außerdem braucht er Geld.

 

Fast alle angestellten Wärter wohnten in der Einrichtung – mit Ausnahme weniger Männer, die aus dem Ort stammten und ein paar Frauen, die in der Küche mithalfen. Hugo runzelte die Stirn, als man ihm eine Pritsche in einem muffigen Schlafsaal zuwies.

„Ich soll mitten unter den Irren schlafen?“

„Was hast du erwartet, ein eigenes Zimmer?“ Didier grinste. „Nimm‘s locker, das Ganze hat durchaus Vorteile. Wenn es nachts Ärger gibt, kannst du sofort eingreifen.“

„Gibt es nachts oft Ärger?“

„Nur wenn du es zulässt.“ Didier grinste. „Du siehst, es hängt von dir ab.“

Tolle Aussichten.

„Wo sind die Bewohner jetzt?“

„Bei ihren Behandlungen. Oder beim Gruppenspaziergang.“ Didier erläuterte, dass dies der Schlafsaal für neu eingelieferte Patienten war. „Er ist nicht immer voll belegt. Manche der Verrückten bleiben gar nicht lange hier, sondern werden von Angehörigen wieder abgeholt. Die übrigen werden später auf andere Stationen verteilt. Sobald die Ärzte besser einschätzen können, was sie brauchen oder was ihnen fehlt.“

Während Hugo das Bündel mit seinen wenigen Habseligkeiten unter die Pritsche schob, warf er einen Blick aus dem vergitterten Fenster.

Da hatte er sich also freiwillig ins Gefängnis begeben.

Doch als Didier ihn anschließend überall herumführte, erkannte er rasch, dass die Zustände in der Anstalt weniger schlimm waren, als er befürchtet hatte.

Der bekannte Pariser Arzt Philippe Pinel verfolgte bereits seit einigen Jahren neue Methoden im Umgang mit den Irren – sie wurden nicht mehr generell angekettet, und auch auf die räumlichen und hygienischen Verhältnisse in den Anstalten wurde mehr Wert gelegt. Der Tradition in Charenton kam das entgegen. Die fügsamen Insassen verrichteten Tätigkeiten im Garten oder halfen anderweitig mit.

„Weggesperrt werden nur die, bei denen es sein muss“, erklärte Didier.

Disziplinarische Maßnahmen gab es natürlich zuhauf. Aus dem Flur mit den Wannenbädern drangen qualvolle Schreie, die abrupt gurgelnd erstickten. Hugo blieb stehen.

„Was passiert dort?“

„Willst du zuschauen?“, fragte Didier und streckte die Hand bereits nach der Klinke aus, ehe Hugo reagieren konnte.

„Nein, warte!“ Er konnte sich ausmalen, was hinter der verschlossenen Tür vor sich ging. Bei einem solchen Zwangsbad mit eiskaltem Wasser würde er noch früh genug dabei sein. Oder es im Dienst sogar selbst durchführen müssen.

„Dann nicht“, sagte Didier achselzuckend. „Komm weiter.“

Er zeigte Hugo die sonstigen Behandlungsräume und die anderen Stationen. Die Patienten, auf die sie trafen, wirkten entweder sediert und weggetreten oder ängstlich. Einige weinten leise vor sich hin, andere summten monoton oder wiegten sich hin und her. Eine Frau mit aufgekratzten, schlecht verheilten Wunden an den Armen stritt laut mit sich selbst.

Nur die wenigsten Insassen machten einen aggressiven Eindruck auf Hugo.

„Dagegen haben wir hier ja auch sehr wirksame Methoden“, meinte Didier.

Was Hugo außerdem auffiel, war die deutliche Hierarchie unter den Insassen.

In einem Seitentrakt des Hospitals waren die gut situierten Patienten untergebracht. Sie bewohnten eigene Räume, durften darin Besuch empfangen und bekamen besseres Essen.

Weil es mittlerweile Mittagszeit war, half Hugo Didier dort beim Austeilen der Mahlzeiten. Auf dieser Etage gab es nicht bloß dünne Suppe ohne Brot, sondern Fleischpastete.

„Tja, wer aus einer adligen Familie stammt, dem steht eine Vorzugsbehandlung zu“, sagte Didier in einem Tonfall, der aufrichtiges Bedauern ausdrückte. „Selbst wenn er beim Konsul in Ungnade gefallen ist wie unser Marquis.“

Er wies auf die letzte Tür, ganz am Ende des Ganges.

„Ein echter Marquis ist hier untergebracht?“, fragte Hugo erstaunt.

„Ja, und zwar einer, über den sich ganz Paris das Maul zerrissen hat! Lass dich bloß nicht von seiner vornehmen Herkunft täuschen. Der Herr ist alles andere als edel! Unser Marquis hat die schwärzeste Seele, die du dir vorstellen kannst.“ Auf Didiers bärtigem Gesicht spiegelte sich Abscheu. „Glaub mir, im Vergleich mit diesem Monster sind die übrigen Verrückten in Charenton so harmlos wie Schafe.“

Hugo starrte die verschlossene Tür an. „Was hat er denn verbrochen?“

„Lass es dir von Gaspard erzählen. Der weiß alles, was dazu in den Zeitungen stand. Und so, wie ich meinen Neffen kenne, noch einiges mehr …“

Er drückte Hugo das Tablett in die Hand. „Na los, bring du ihm heute sein Essen. Dann lernst du den feinen Herrn gleich selbst kennen.“

„Wie heißt er denn?“

Didier spuckte verächtlich aus. „Der Name des Marquis lautet de Sade.“