DAS HAUS ZAMIS 49 (Der Alchemist) beschert euch einmal mehr eine Achterbahnfahrt ins Herz des Grauens – und dieses schwarze Herz tickt nach wie vor in Wien! Während die gnadenlose Jagd auf Lydia Zamis ihren Höhepunkt erreicht, erwacht im Café Zamis Ira, die Todsünde des Zorns … Aber lest selbst, was unsere Hexerfamilie all dem entgegenzusetzen hat – wie immer wortgewaltig in Szene gesetzt von Michael Marcus Thurner:

Das Wach-Schrapnell brüllte seinen Alarm in die Dunkelheit hinaus, mehrere der Heulsusen schlugen zeitverzögert an. Die kleinen Wesen, aus Ton gewonnen, der für die Fertigung von Golems genutzt wurde, hüpften aufgeregt hin und her. Sie trampelten mit ihren hohlen Beinen auf, schrien in hohen Tönen.

Michael Zamis schreckte hoch. Er riss sein Gewand an sich, schlüpfte in die Hose, stürmte aus seinem Schlafgemach und eilte den Gang entlang. Er schlug heftig gegen Theklas Zimmertür und an jene Georgs, der als Einziger seiner Kinder einsatzbereit war.
Michael konnte die Eindringlinge fühlen. Viele von ihnen. Sie schwärmten über das Gelände der Villa Zamis aus, sie beschäftigten sich mit den ausgelegten Fallen, sie fielen über die Wachbäume her.
Das Holz der vielen Wandvertäfelungen im Erdgeschoss ächzte. Es stammte von uralten Galgenbäumen und war magisch geladen. Der Sand des Mauerwerks war mit dem Blut des Roten Bergs in unmittelbarer Nähe der Villa Zamis vermengt, die verarbeiteten Nägel, Klammern und Schrauben aus unheiligen Relikten gewonnen. Selbst die Wandfarben beinhalteten Pigmentstoffe, die sich auf mittelalterliche Dämonen-Meistermaler zurückführen ließen.
Und dennoch stöhnte und ächzte die Villa Zamis. Sie wehrte sich mit aller Vehemenz gegen die Eindringlinge.
»Sprecht mit mir!«, verlangte Michael Zamis von den Heulsusen, während er Socken und Hemden überzog.
»Laute, schreiende Geschöpfe!«, sagte eine von ihnen und klammerte sich an seinem Fuß fest. »Sie sind stark, so stark, Herr und Meister! Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie alle Bannsprüche überwunden und die Fallen unbrauchbar gemacht haben. Sie tun uns weh, Herr und Meister! Hilf uns, bitte!«
Michael Zamis schüttelte das lästige Geschöpf ab. Er hatte kürzlich mehrere Dutzend von ihnen bei einer dämonischen Auktion erstanden und für die Verteidigung des Hauses brauchbar gemacht. Sie erledigten ihre vielfältigen Aufgaben ausgezeichnet. Doch ihr devotes, unterwürfiges Verhalten nervte.  
»Wer sind sie?«, fragte er, während er seine Dämonensinne schweifen ließ und nach Spuren der Eindringlinge suchte.
»Frauen. Sie ähneln Menschenfrauen, haben aber grässliche Gebisse. Sie schreien so schrecklich laut. Hilf uns doch, Meister …«
Michael Zamis bekam Kontakt zu einem der Feinde. Er ertastete Gedanken, die ein Brei an bösen, kaum beherrschten Emotionen waren, aber auch Schläue beinhalteten. Da waren Hass und Wut und Gier und Lust … Das Wesen wollte ins Innere der Villa Zamis gelangen, sich an seinen Bewohnern vergehen und vor allem ein glänzendes Ding an sich reißen. Ein Ding, dessen Form in den Gedanken des anderen ein gestaltloser Schemen blieb.
Er hatte genug gesehen. Er wusste, wer dieser Feind war.
»Geht hinaus!«, befahl er den Heulsusen. »Alle von euch. Macht schon! Ihr werft euch dem Feind entgegen und haltet ihn auf, so lange es geht.«
»Aber … aber dann sterben wir, Herr!«
»Ihr könnt nicht sterben, Heulsuse. Das vermeintliche Leben, das ihr in euch fühlt, wurde euch durch dämonischen Atem gegeben. Also los, ab mit euch!«
Die gerade mal dreißig Zentimeter großen Heulsusen gehorchten. Mit schleppendem Schritt trippelten sie auf die Katzentür zu, die Michael eigens für sie angefertigt hatte, und schlüpften hindurch. Die Sprecherin der Heulsusen warf ihm einen letzten, traurigen Blick zu, bevor sie in den Kampf zog.
Glaubte sie denn wirklich, dass er Mitleid für ihresgleichen empfand? Was waren das bloß für dumme Geschöpfe!
Georg kam die Treppe herabgestolpert, hinter ihm Thekla. Beide wirkten konzentriert und beherrscht. Es war viel vorgefallen in den letzten Jahren. Sollten sie jemals Zweifel oder gar Angst empfunden haben, dann waren ihnen diese Schwächen längst ausgetrieben worden.
»Selkies«, sagte Michael Zamis kurz angebunden. »Sie sind Lydias Spur bis hierher gefolgt. Sie wollen sie haben und sich an ihr rächen.«
Er blickte in Richtung der Statue, die im Wohnzimmer an die Wand gelehnt dastand, wie ein kitschiges Stück Einrichtung. Hinter der goldenen Gestalt verbarg sich seine Tochter. Lydia. Sie war ein verzogenes Gör, das seine grausame Ader oft falsch fokussierte – und diesmal für ihre Fehler bezahlte.
»Die Heulsusen werden die Selkies nicht lange aufhalten können«, sagte Georg, der die Situation rasch erfasst hatte.
»Es sollte reichen. Sofern es uns gelingt, die Kräfte zu bündeln.«
Thekla nickte, griff nach Georgs Hand und setzte sich gemeinsam mit ihrem Sohn auf die Couch im Wohnzimmer. Michael zögerte, bevor er sich neben seiner Frau niederließ. Neben ihr zu sitzen, war, als würde man kochenden Magma-Brei in einem Vulkan umrühren und müsste darauf achten, dass er nicht explodierte.
Thekla hatte einen Zauber gesponnen, der ihn seit einigen Wochen schon gefangenhielt. Er begehrte sie so sehr, dass es schmerzte. Ihr enger, gut sitzender Rock, der Anblick ihrer Knie, das Knistern ihrer Strümpfe – wann, bitteschön, hat sie die Strümpfe angezogen?! – die Wärme ihres Körpers …
»Konzentrier dich gefälligst, Michael!«, fuhr sie ihn an, nicht ohne ein lüsternes Lächeln anzudeuten.
Er umfasste eine ihrer Hände und konzentrierte sich auf die Berührung. Georgs Finger schoben sich über seine andere Hand. Sie waren rasch miteinander verbunden. Auch ihre Geister vereinten sich. Auf eine Art und Weise, die man kaum zu beschreiben vermochte.
Theklas Verstand fühlte sich wie das Holz eines harten, knorrigen Kirschbaums an, während Georg ein Weichholz mit hartem Kern darstellte.
Er, Michael, beherrschte sie beide – und er sog ihre dämonischen Kräfte in sich auf. Er sammelte und bündelte sie, bereit, sie auf die Feinde loszulassen, sobald er das passende Gefäß für ihre Gedanken gefunden hatte.
Er ließ ihre Geister auf Wanderschaft gehen. Hinaus ins Freie, in die kühle Nacht. Schlingpflanzen ackerten den Boden durch auf der Suche nach einer Selkie, die sich gegen fünf der Heulsusen zur Wehr setzte. Sie packten zu und strangulierten das widerliche Geschöpf zu Tode. Es wollte einen finalen Schrei loslassen, in dem all seine verbliebene Kraft steckte. Doch bevor es dazu kam, trennte die Schlingpflanze den Kopf vom Rumpf.
Die Abwehrmechanismen des Hauses funktionierten also. Doch sie würden bei der Überzahl der Feinde bald an ihre Grenzen stoßen …

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Keep the Horror burning!
Uwe