„Dachbodenfunde gibt es nur bei Ebay“: Aus dem Grimoire der Coco Zamis (4)

5. August 2016

Bisher ging es in unserer kleinen Serie immer um Zauberbücher und deren Inhalte. Aber wo findet man diese begehrten Schätze? Die Zeiten, in denen man auf verstaubten Dachböden oder in versteckten Antiquariaten zufällig auf ein geheimnisvolles Grimoire stößt, gehören sicherlich der Vergangenheit an. Heute stelle ich euch einen Antiquar vor, der ausschließlich mit diesen Büchern handelt.

Hans-Jürgen Lange ist ein Antiquar für ganz besondere Bücher: In seinen aufwendig gestalteten Katalogen findet man vornehmlich solche der Grenz- und Geheimwissenschaften, darunter auch wahre Schätze und Raritäten der okkulten Literatur wie Eberhard David Haubers Bibliotheca, acta et scripta magica“ oder die alchemistische Schrift Herrn Georgii von Welling Opus Mago-Cabbalisticum et Theosophicum“ von 1735. Neben dem Reiz, das eine oder andere gesuchte Buch zu erwerben, bietet der Katalog aber jedes Mal auch viele interessante Informationen zu den einzelnen Büchern. Anlass genug, uns mit dem Antiquar zu unterhalten.

Sie betreiben seit vielen Jahren ein Versandantiquariat u.a. für Bücher, die sich mit dem Okkulten und der Magie befassen, Wie sind Sie dazu gekommen?

Aus Not, von irgendwas musste ich ja leben. Ich habe nämlich ursprünglich Grafik-Design studiert und lange Jahre in verschiedenen Werbeagenturen gearbeitet, zuletzt als Creative-Supervisor. Leider musste ich erfahren, dass die Luft dünn wird, wenn man über 50 ist und plötzlich große Kunden wegbrechen. Dazu ließe sich noch einiges sagen, nur so viel: Raymond Chandler hat einmal geschrieben: „Die größte Verschwendung des menschlichen Geistes ist das Schachspiel und die Arbeit in einer Werbeagentur.“

Weil ich selbst einige Bücher geschrieben hatte und eine große Sammlung okkulte Literatur besaß, lag der Handel mit alten Büchern nahe. Es war halt etwas, mit dem ich mich auskannte und das mir Spaß machte. Wie immer, ist es anfangs nicht einfach, aber es war und ist viel, viel besser als meine alte Tätigkeit. Ich hätte das schon zehn Jahre früher machen sollen.

Ihr aktueller Katalog umfasst 666 Titel. Gibt es dabei auch ein Buch, von dem Sie sich schwer wieder trennen? Oder unterscheiden Sie zwischen Geschäft und Leidenschaft?

Es gibt Antiquare, die sammeln selbst, und es gibt Antiquare, die tun das nicht. Meine Frau und ich gehören zu den Letzteren. So etwas spricht sich rum, ich war früher auch nicht begeistert, wenn ich merkte, dass Antiquare bewusst etwas zurückhielten oder für sich behielten.

Aber es macht durchaus Sinn, Bücher für lange Zeit sein Eigen zu nennen, besonders, wenn man damit arbeitet oder wenn sie es wert sind, mehrmals gelesen zu werden. Auf der anderen Seite, der ganze Bestand des Antiquariats steht zu meiner Verfügung, einige Werke gehen, andere kommen. Diese Bewegung ist faszinierend, und ich muss mich immer wieder mit Dingen beschäftigen, die auch für mich neu sind. Es gibt heute nur eine Handvoll Bücher, die ich privat besitze, und das ist nichts Besonderes, sondern hat eher einen sentimentalen Wert.

In Verbindung mit Zauberbüchern gibt ja es die spannendsten Geschichten. Haben Sie auch so eine erlebt?

Eigentlich nicht, aber ich möchte ganz generell dazu mit einer Feststellung antworten: „Überzeugungen schaffen Erfahrungen“. Bücher haben an sich eine seltsame Tendenz, merkwürdige Erfahrungen zu schaffen. Zum Beispiel etwas, das ich das Gesetz der Schwere nenne. Wenn man Bücher zu einer bestimmten Thematik zusammenträgt, haben diese Bücher die Tendenz, sich zu vermehren, fast zwangsläufig. Oder anders gesagt, es gibt einen Punkt, an dem es wahrscheinlicher wird, dass die Dinge von ganz alleine zu einem kommen.

Welche Arten von Zauberbüchern gibt es eigentlich? Nach welchen Kriterien unterscheiden Sie?

Also das ist einfach, man gibt bei google „Grimoire“ ein, und dann kommt auf den ersten beiden Positionen alles Wesentliche, und das meine ich nicht ironisch. Das ist brauchbar und fundiert.

Okay, versuchen wir das einfach mal. Stimmt, allein Wikipedia ist da sehr hilfreich. Wie beurteilen Sie denn zeitgenössische schwarzmagische Grimoires?

Mir fällt da nur „Im Kraftstrom des Satan-Seth: Der Pfad der dunklen Einweihung“ von Frater Eremor ein. Das ist, wenn man einige Abstriche macht, nicht so dumm. Allerdings haben sich bei mir verschiedene Vorbehalte verstärkt, nachdem ich mal die Gelegenheit hatte, den Autor persönlich kennenzulernen. Aber das ist schon über 15 Jahre her, vielleicht sollte ich es noch mal lesen, allerdings ist es nicht in unserem Bestand. Das müsste ich auch kaufen. Das Exemplar, das ich mal hatte, ist irgendwie auf der Strecke geblieben. Wahrscheinlich habe ich es an einen Kunden verschenkt.

Gibt es wirklich noch eine Anzahl von Leuten, die daran heutzutage glauben? Oder ist es eher der angenehme Gruselfaktor bis zum wissenschaftlichen Interesse, warum Liebhaber gewisse Bücher bei Ihnen erwerben?

Ganz sicher gibt es Leute, die daran glauben. Aber da unsere Kunden überwiegend nicht so gesprächig sind, müsste ich über die Beweggründe der schweigenden Mehrheit spekulieren. Kunden, die das fachkundige Gespräch suchen, haben meist ein kulturhistorisches Interesse und suchen dann auch oftmals den persönlichen Kontakt. Der „Gruselfaktor“, wenn man es so nennen will, spielt sicher nur bei alten Rechtsbüchern zur peinlichen Gerichtsordnung eine Rolle.

Konnten Sie einem Sammler auch schon einmal einen ganz besonderen Wunsch erfüllen?

Ja, ich konnte ein bereits verkauftes Werk nach einiger Zeit extra für ihn zurückerwerben.

Welches ist zurzeit das geheimnisvollste Grimoire, das Sie anbieten?

Was ist schon geheimnisvoll? Sicherlich das, worüber man nicht mit aller Welt redet. Aber es gibt im Augenblick ein 6 & 7tes Buch Mosis, das ich interessant finde. Der Titel lautet: „Das sechste und siebente Buch Mosis sein wahrer Wert und was das Volk darin sucht“. Es ist um 1920 erschienen. Das Besondere ist, dass dort nach den ersten 64 Seiten ein sehr seltenes altes Buch wiedergegeben wird, das mit der Titelseite, auch typografisch, mit dem Original identisch ist. Ich habe zwei Fälle erlebt, dass dieser erste Teil entfernt wurde, um den Rest als „Original“ anzubieten. Man erkennt das nur am Papier.

Und welches ist das seltenste, das Sie angeboten haben?

Darauf werde ich nicht antworten, und dafür gibt es gute Gründe. Stellen Sie sich vor, ein Kunde, der dieses ungenannte Buch gesucht hat, würde das erfahren. Der würde doch verärgert zum Telefon greifen und fragen: Warum haben Sie mir das nicht verkauft? Wirklich seltene Titel in diesem Themenbereich werden fast nie auf dem freien Markt angeboten. Da gibt es nur direkte Offerten. Sie sehen, über Kunden und was die mal gekauft haben, schweigt man, alles andere ist unprofessionell.

Wie schätzen Sie den praktischen Nutzen von Zauberbüchern heutzutage ein?

Darauf kann ich nur indirekt antworten, da ich niemanden kenne, der so etwas mit einem Grimoire ausprobiert hat. Kulturhistorisch sieht es aber eher schlecht aus, ich denke da an die Beschwörungen des Gilles de Rais im 15. Jahrhundert. Besonders, weil ihm keine Grenzen gesetzt waren, alles Denkbare und Undenkbare war möglich, trotzdem landete er auf dem Scheiterhaufen. Das ist schon mal ein deutlicher Hinweis, meine detaillierte Einstellung dazu kann man nachlesen, z.B. auf unserer Website unter dem Menüpunkt „Texte“. Und was man natürlich auch nicht übersehen sollte, ist, dass bekannte Magier, wie Aleister Crowley oder Gregor Gregorius nicht gerade als strahlende Sieger aus dieser Welt geschieden sind.

Warum hat dann gerade Crowley heutzutage noch, ich will nicht sagen: eine große Anhängerschaft, aber doch diese große Popularität?

Crowley war ein sehr kluger Kopf, ein Chamäleon und Querdenker. Auch ich zolle ihm Respekt, obwohl ich seine „Schlitzohrigkeit“ nur schwer tolerieren kann. Was mir an ihm gefällt, ist seine Rebellion gegen vorherrschende Meinungen. So wollte er einmal einen Vortrag über Gilles de Rais an der Universität Oxford halten, was ihm aber in letzter Minute untersagt wurde. Man drohte sogar mit „Disziplinarmaßnahmen“, falls der Vortrag trotzdem stattfände. Der durchgesickerte Inhalt war nicht opportun. Man kann ihn heute lesen in „Gilles de Rais. The Banned Lecture“, das gibt es als neuere, zweisprachige Ausgabe. Ich selbst teile seinen Blick auf Gilles de Rais nur zu gerne.

Können Sie uns noch eine ganz besondere Beschwörung mit auf den Weg geben?

Die Frage setzt voraus, das ich so etwas im Kopf parat habe, dem ist nicht so. Sollte ich jemals den Wunsch haben, etwas zu beschwören, würde ich etwas Eigenes kreieren, vielleicht in Verbindung mit „Zos Kia“, ein magisches System, das Austin Osman Spare entwickelt hat.

Die Sigillenmagie würde ich als eine Form des positiven Denkens bezeichnen. Oder ist das zu naiv gedacht? Zos kia war übrigens auch eine Industrial-Band, deren Musik durchaus eine gewisse beschwörende Faszination beinhaltet, allerdings eine sehr düstere.

Es ist vielleicht zu kurz gedacht, weil „Zos Kia“ über reine „Wunscherfüllung“ hinausgeht. Crowley hatte Spare als „schwarzer Bruder“ bezeichnet und erst Jahre später seine Meinung über das magische System revidiert. Die Musik von „Zos Kia“ kenne ich nicht.

Zum Schluss eine Frage, die mich sehr interessiert, aber die Sie wahrscheinlich nicht beantworten werden: Abgesehen davon, dass Ihnen sicherlich immer wieder seltene Bücher angeboten werden, wie stoßen Sie auf Ihre Raritäten? Gab es darunter auch schon echte Entdeckungen, wie den sprichwörtlichen Dachbodenfund?

Dachbodenfunde gibt es nur bei Ebay. Der Rest ist wie Sie schon vermuteten Schweigen.

Ich bedanke mich für das sehr interessante Gespräch! Mehr über das Antiquariat Lange und einen Einblick in alle bisherigen Kataloge findet ihr hier http://www.antiquariatlange.de

Vor drei Wochen habe ich in die Runde gefragt, in welchem Buch jene geheimnisvolle Irene, die in den aktuellen DORIAN HUNTER- und DAS HAUS ZAMIS-Bänden eine entscheidende Rolle spielt, das erste Mal mit Dorian Hunter zusammentraf? Die Lösung war der legendäre DÄMONENKILLER-Roman 89 von Hugh Walker. Eure Lösungen trafen so zahlreich ein, dass ich gleich 3 Bücher verlost habe. Signiert von mir und Logan Dee. Als besonderes Extra hat Dorian Hunter noch eine kleine Tüte mit einem besonderen Kraut gegen „Teufel, Hexen und böse Geister“ beigelegt.

Keep the Horror burning!

Uwe