Die Fürstin Bredica hat ein Schwarzes Testament hinterlassen. Ihre Verwandten treffen nach und nach auf der Temeschburg ein, um erwartungsvoll ihr Erbe anzutreten. Doch sprechen wir hier nicht von Menschen, sondern von Dämonen. Dementsprechend blutig geht es zu – und manchmal auch gar nicht so leise …

Wir erreichten die Temeschburg in der Abenddämmerung. Glücklicherweise waren wir nicht mehr angegriffen worden. Der Weg war auch so schon anstrengend genug. Ich hatte versucht, meinen Vater weiter auszufragen, auch was den geheimnisvollen Wald betraf, aber er blieb einsilbig.
Die Temeschburg wirkte mit ihren Zinnen und Erkern und ihren düsteren, abweisenden Mauern tatsächlich wie ein Gespensterschloss. Oder wie das Domizil von Graf Dracula.
Je näher wir kamen, desto verfallener wirkte es allerdings. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass innerhalb der Mauern noch jemand wohnen konnte. Und da wir wegen der Testamentsvollstreckung hier waren, konnte ich nur hoffen, dass die Fürstin uns die Burg nicht vererbt hatte. Mir kam das Gemäuer so nutzlos und interessant wie ein Haufen Steine vor. Dummerweise verlieh ich meinen Gedanken Ausdruck.
»Du hast nicht den geringsten Sinn für Tradition!«, wetterte mein Vater. Diesmal war er richtig aufgebracht. »Die Fürstin war eine bedeutende Samca und hat über diesen Landstrich jahrhundertelang geherrscht. Sie war gefürchtet, nicht nur bei den Menschen. Und diese Burg ist eine bedeutende …«
Ruine, seufzte ich im Stillen und ließ ihn weiterschwadronieren. Natürlich wusste ich, was eine Samca war. Sie erschien den Frauen während der Niederkunft und entriss ihnen mit ihren langen, krallenartigen Fingernägeln das Neugeborene. Meistens tauchten die Säuglinge nach ein paar Tagen wieder auf. Wenn sie heranwuchsen, führten sie ein normales Leben. Doch vor ihrem Tod erschien ihnen die Samca erneut, und sie verlangte, dass sie mit ihr kommen und ihre Schattensklaven werden …
»Verdammt! Hört uns denn niemand?«, fluchte mein Vater und riss erneut an dem Glockenstrang. Wir hatten mittlerweile die Zugbrücke überschritten und standen vor dem gewaltigen Burgportal, das in den vergangenen Jahrhunderten wahrscheinlich manchem Angriff getrotzt hatte. Ich spürte selbst jetzt noch das vergossene Blut, das das Holz und die Steine an dieser Stelle getunkt hatte, die Schmerzen, die vielfältigen Verletzungen und Tode, die hier für immer ihre unsichtbaren Spuren hinterlassen hatten. In meinen Ohren rauschte es. Ich vernahm das Flüstern der Geister. Ihr Wehklagen, aber auch ihre Gier auf alles Lebende …
»Coco!« Erneut riss mich meine Mutter aus meinen Gedanken, die mich auf fast gefährliche Weise in eine andere Dimension gezogen hätten.
Das Portal öffnete sich knarrend. Gleich zwei dämonisierte Menschen mühten sich damit ab. Als der Spalt breit genug war, huschten wir hindurch. Mit den Dienern gab sich mein Vater gar nicht erst ab. Er marschierte vor, während er uns erzählte, die Burg von früher her wie seine Westentasche zu kennen.  Wir folgten ihm im Gänsemarsch, bis wir die eigentliche Eingangspforte erreichten. Sie stand offen, und als wir die Schwelle überschritten, empfing uns warmer Lichtschein, der von zahlreichen flackernden Kerzen stammte.
»Jemand hier?«, rief mein Vater, und augenblicklich erklangen schwere Schritte. Im nächsten Moment zeigte sich eine riesige Gestalt. Der Mann war um die vierzig, hatte schulterlange schwarze Haare und trug einen ungepflegten Vollbart. Sein schlechtsitzender Anzug wirkte viel zu klein für seinen massigen Leib und die breiten Schultern. Ich spürte seine dämonische, aggressive Ausstrahlung wie einen Hammerschlag im Magen.
Als er uns erblickte, verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen.
»Verdammt, wer hat euch hereingelassen? Wer seid ihr?«, fragte er mit grollender, tiefer Stimme. Wären wir Menschen gewesen, hätte er uns wahrscheinlich mit einem Schlag seiner gewaltigen Fäuste vernichtet.
So aber wies ihn mein Vater in seine Schranken. Der Fremde war nur noch einen Meter von uns entfernt, als er gegen eine unsichtbare Mauer prallte. Fluchend machte er prompt wieder ein paar Schritte rückwärts.
»Ich schätze es nicht, wenn man mir zu sehr auf die Pelle rückt«, sagte mein Vater. »Wer sind Sie?«
»Das habe ich euch gefragt!« Der Riese rieb sich das schmerzende Kinn. »Und hör auf mit diesen Scherzen!«
»Zamis. Michael Zamis. Das sind meine Frau Thekla und meine Tochter Coco.« Wir nickten.
»Und ich dachte, ihr seid verdammte Touristen, die sich verlaufen haben«, grummelte er. »Kommt weiter! Wir alle warten auf euch!«
»Wir alle?«, fragte ich neugierig.
Zum ersten Mal schien er mich überhaupt zu bemerken. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, und nach seinem Blick zu urteilen, gefiel ihm, was er sah.
»Na, die ganzen Geier natürlich«, sagte er und spuckte auf den verschlissenen, aber teuren Teppich. »Ich bin Bucur, der Bruder der Verstorbenen.«
Mein Vater sah ihn scharf an. »Die Fürstin hat nie von einem Bruder gesprochen!«
»Weil wir uns auf den Tod nicht leiden konnten. Willst du etwa behaupten, ich lüge?«
»Das steht meinem Gatten fern«, mischte sich Thekla ins Gespräch. »Wir wären Ihnen nun dankbar, Herr Bucur, wenn Sie uns zu den anderen brächten.«
»Herr Știufliuc. Bucur ist mein Vorname, aber ich habe nichts dagegen, wenn ihr mich nur Bucur nennt.«
Er hatte sich wieder beruhigt und drehte sich schnaufend um.
Mein Vater ließ die unsichtbare Wand in sich zusammenfallen, und wir folgten dem Riesen.
Wir erreichten eine große Halle. Bucur kündigte uns schallend an: »Die Vermissten sind endlich eingetroffen. Jetzt können wir endlich loslegen!«

Wenn auch ihr endlich loslegen wollt, lest wie es weitergeht im Jubi-Band 50 der Reihe DAS HAUS ZAMIS. Und wie in den vergangenen Wochen schon an dieser Stelle berichtet, erwarten euch darin noch einige weitere Extras. Der 50. Band DAS HAUS ZAMIS geschrieben von Michael Marcus Thurner und Logan Dee!

Keep the Horror burning!
Uwe