Das Grauen schleicht auf leisen Sohlen

2. November 2018

Wie ihr wisst, schauen wir auch gerne ab und zu über den Tellerrand. Heute möchten wir euch ein Buch vorstellen, das es mir ganz besonders angetan hat – weil es so außergewöhnlich ist: Alexander Bachs „Das Haus in der Rotscherzgasse“. Die „seltsamen Geschichten“ schleichen sich lautlos an – und packen einen plötzlich ganz hinterrücks …

Ich traf den Autor auf dem Marburger Horror Con wieder, auf dem er sein neues Buch poräsentierte. Aber was heißt neu: „Das Haus in der Rotscherzgasse“ versammelt erstmals neben der Titelgeschichte weitere Storys des Autors aus den Jahren 1992 bis 1996.

Es handelt sich ausdrücklich um keine Horrorgeschichten, und auch passt der Begriff Phantastik nicht unbedingt. Einige könnte man der Richtung Phantastischer Realismus zuordnen, aber dafür sind sie zumeist zu handlungsarm. Im Grunde handelt es sich um verzauberte Vignetten, in denen ein Ich-Erzähler (man könnte meinen, es ist immer derselbe) in eine Situation gerät, die ihn aus dem Alltäglichen herausdriftet. Der Autor selbst spricht von „Grauer Literatur“.

So verpasst beispielsweise in Entlarvt ein junger Mann eine Frau, die mit dem Zug dort ankommen wollte. In seine Einsamkeit versunken und über die verpasste Chance dieser Begegnung nachgrübelnd, gerät er in einen Laden voller Masken. Sind es die Masken, die ihn mit seinen Selbstvorwürfen konfrontieren oder reflektiert der Mann selbst darüber? Wir wissen es nicht … Diese wie auch viele anderer der Miniaturen sind eher Grotesken und erinnern mich an manche Schriftsteller der Décadence, wie sie zum Beispiel in der Zeitschrift Der Orchideengartengehäuft veröffentlicht wurden. Auch Bachs Sprache ist zumeist dieser Periode verhaftet und wirkte bereits zum Zeitpunkt der Entstehung der Geschichten altertümelnd.

Rund-, Rück- und Umwegfahrten könnten einem Gedanken Kafkas entsprungen sein: Ein (wiederum!) junger Mann erblickt in der davonfahrenden Bahn eine Frau, die ihn derart fasziniert, dass er sie verfolgt. Doch das Bahnnetz erweist sich als Labyrinth. Mehrmals glaubt er die Frau wiederzusehen, doch es ist immer eine andere … In diesem Falle erwartet uns ein metaphysischer Schluss.

Der Kunsthandwerker ist eine feine kleine Miniatur über einen Jungen, der in einen seltsamen Laden gerät, in der die Dinge alle scheinbar zu nichts nutze sind: Eine Flöte ohne Löcher, eine Kanne ohne Henkel … Doch der alte Mann, der den Plunder feilbietet, hat damit ganz Besonderes im Sinn … Diese Geschichte ist eine gelungene Allegorie, den wahren Wert der Dinge zu erschauen.

In der nur zweieinhalbseitigen Kurzprosa Wasted and Woundedverdichtetet sich die Lebensverdrossenheit zur Todessehnsucht. Die „Welt da draußen“ wird nur noch als Kälte empfunden, und dennoch zieht es den Erzähler immer wieder hinaus, um der Einsamkeit zu entrinnen. Es gipfelt in dem verstörenden Satz: „Warum nur war es mir so schwer …  zum Beispiel jetzt das Fenster zu öffnen und mich hinunterzustürzen, zu dem Altpapier, wo ich hingehörte?“ Niemandem wünscht man eine derartige Stimmungslage, und ich kann nur hoffen, dass der Autor sie bestenfalls gestreift hat. Die Geschichte ist Teil eines Leseprogramms, mit der sich der Autor laut eigener Aussage seinerzeit erstmals an die Öffentlichkeit gewagt hat. Man kann nur vermuten, wie verstörend sein Vortrag auf das anwesende Publikum, das sich vielleicht einen unterhaltsamen Abend versprochen hatte, gewirkt haben mag.

Es schließt sich an Das Haus in der Rotscherzgasse, das vielleicht einzige wirkliche übernatürliche Horrorstück in dieser Sammlung. Auf nur knapp 3 Seiten verdichtet der Autor gleich ein ganzes Untergenre, das des Geisterhauses und speziell des Spuks. Gleichzeitig streift er lovecraftschen Horror.

Ein besonders gelungenes Stück Kurzprosa ist auch Das Nachtcafé. Das Nachtcafé, das war auch seit den siebziger Jahren ein Freiburger Literaturmagazin, das mich lange begleitet hat. Vielleicht hat auch der Autor daran gedacht, als er den Titel wählte, ich weiß es nicht. Beschrieben wird ein Ort, nach dem wir uns alle sehnen: Einen Wohlfühlort, den wir als Fremder betreten, und in dem wir uns nach und nach immer wohler und behaglicher fühlen, in dem wir Gleichgesinnte treffen und Inspiration erfahren. Dabei, das macht Alexander Bach deutlich, ist es weniger der Ort, als vielmehr die Atmosphäre, die diese Einmaligkeit schafft – und die zu oft nicht wiederholbar ist, so sehr wir uns auch danach sehnen.

Alexander Bach ist heute fast ausschließlich mit eigens verfassten Bühnenprogrammen unterwegs. Wer ihn erlebt, ist beeindruckt, mit welcher Virtuosität er seine Texte vorträgt, wobei er selbst hinter seiner Bühnenpräsenz als die eines etwas antiquiert wirkenden Gentleman zurücktritt. Auf youtube gibt es einige Beispiele, auch Einlesungen wie zum Beispiel von dem Haus in der Rotscherzgasse sind dort zu finden. Pünktlich zu Halloween und zur Walpurgisnacht beschert uns Alexander Bach zudem jeweils ein Juwel seiner „Eigentümlichen Geschichten“.

Wer Interesse an dem Buch hat, sollte sich sputen: Es ist auf 100 Exemplare limitiert und dürfte bald zu den gesuchtesten Publikationen der Goblin Press zählen. Zu beziehen ist das von Hand gebundene Buch hier: joerg@the-house-of-usher.de,

So weit unser besonderer Buchtipp für heute. Ansonsten findet ihr garantiert auch im ZAUBERMOND-Programm das eine oder andere Juwel. Und neuerdings ja auch am Kiosk und in den Bahnhofsbuchhandlungen, wo DORIAN HUNTER wieder als Romanheft zu erwerben ist!

Keep the Horror burning!
Uwe