In zwei Wochen ist es so weit: Am 2.12. erscheint DAS HAUS ZAMIS 48 „Midwinterblut“. Mit Susan Schwartz, die den tietelgebenden Part des Buches schrieb, begrüßen wir eine neue alte Bekannte in unserem Haus Zamis. Einen ersten Appetithappen möchte ich euch nicht vorenthalten:

»Monsieur, wir können bald nicht mehr weiter, die Pferde gehen mir noch zuschanden!«, rief der Kutscher vom Bock herunter. Er saß dick in Pelze gehüllt und mit einer Kappe auf dem Kopf im Freien, Wind und Wetter ausgesetzt, genau wie die Pferde, auf deren Rücken bereits eine geschlossene mehrere Zentimeter hohe Schneedecke lag.
Die Reisenden in der Kutsche hatten zwar ein Dach über dem Kopf, aber ansonsten erging es ihnen kaum besser. Es war zugig, und die Kälte drang durch alle Ritzen herein. Die sechzehnjährige Marie und die zehnjährige Jeanne hatten schon blaue Nasenspitzen, obwohl sie sich dicht aneinanderdrängten und versuchten, sich gegenseitig zu wärmen. Auch Sophies Gesicht sah durchgefroren aus. Der Schneefall, der mittags eingesetzt hatte, war immer stärker geworden, und das Vorankommen wurde zusehends schwieriger. Die Straße war kaum mehr erkennbar, die Spuren der Fuhrwerke, die vor ihnen unterwegs gewesen waren, nur noch schmale Rinnen, die bald zugeweht sein würden. Die hereinbrechende Dunkelheit bereitete zusätzlich Probleme.
Da kam die Ortschaft, die sie soeben erreichten, gerade recht. Die Kutsche rumpelte in eine mäßig erleuchtete kleine Stadt hinein und hielt auf das Zentrum zu, wo es zumeist nicht nur eine Kirche, sondern auch ein Gasthaus mit Übernachtung für Reisende gab.
»Lasst uns hier Station machen«, sagte Jean Fortrand zu seiner Frau und den beiden Töchtern, als sich die Annahme  bezüglich des Gasthauses als Tatsache herausstellte. Auf den Straßen war niemand unterwegs, aber das große Gebäude mit den angeschlossenen Stallungen war erleuchtet, und aus den Fenstern fiel verlockend warmer Schein auf den zugeschneiten Gehweg.
Jean Fortrand klopfte mit dem Gehstock gegen die Decke, schob das Seitenfenster nach unten und streckte den Kopf hinaus. Für einen Moment verschlug es ihm den Atem, als der eisige Wind sein ungeschütztes Gesicht traf und Eiskörner wie Hagel gegen seine Haut prasselten. »Wir werden in dem Gasthaus übernachten, Kutscher! Dort findet sich bestimmt auch ein Platz für Pferde und Kutsche.«
»Dazu kann ich nur raten, Monsieur! Aber wenn wir morgen früh nicht weiterreisen können, weil es immer noch schneit, müssen Sie einen Zuschlag zahlen.«
»Ja, das ist mir durchaus bewusst. Keine Sorge, Sie werden angemessen entlohnt.«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass niemand zu dieser Zeit übers Land fährt, und mittlerweile bereue ich, dass ich mich dazu habe überreden lassen.«
»Das Wetter wird nicht ewig so schlecht sein, und dann können wir bald weiter. Ich übernehme Kost und Logis, also sollten Sie zufrieden sein, guter Mann, denn sonst würden Sie zu dieser Zeit gar nichts verdienen.«
Die Kutsche hielt an, der Kutscher sprang ab, schüttelte den Schnee aus seiner Kleidung und öffnete den Verschlag. »Ich kümmere mich um das Gepäck und den Rest, dennoch würde ich um einen Vorschuss bitten, Monsieur, denn ich habe schon die schlechtesten Erfahrungen gemacht.«
Fortrand verzog keine Miene. Er war immer noch auf den Kutscher angewiesen, wollte er sein Ziel noch vor Weihnachten erreichen. Umso mehr, da sie sich offenbar verirrt hatten und er nicht wusste, wo in der nördlichen Bretagne sie sich befanden; dort, an der Grenze zur Normandie, mit verwischenden Übergängen, gab es viele verlassene Gegenden. Mit ruhiger Geste drückte er dem Kutscher die Kosten für den zurückgelegten Weg und die zu erwartenden Auslagen für Übernachtung, Essen und die Versorgung der Pferde in die Hand.
Dann half er seiner Frau und den Mädchen aus der Kutsche, und sie betraten das Gasthaus.
Die Frauen gingen sofort weiter in die große Stube, wo ein Feuer im Kamin brannte, um sich aufzuwärmen. Fortrand diskutierte eine Weile mit dem Wirt und bekam schließlich das Zimmer zum angemessenen Preis. Er winkte dem Kutscher, der gerade mit dem Gepäck hereinkam, und wies ihn an, wohin er es bringen solle. Dann beeilte auch er sich, in die Stube zu kommen. Eine Schale kräftiger Eintopf und ein heißer Würzwein waren ihm gerade recht.
Erstaunlicherweise war der große Raum sehr voll. Lange Tische und Bänke in mehreren Reihen, am anderen Ende der große Kamin mit dem prasselnden Feuer. Schankknechte eilten zwischen den Tischen herum, trugen ab und auf. Sophie winkte ihm, und er ging zu ihnen; sie hatte mit den Töchtern einen kleinen Tisch an einem Fenster bezogen.
Die Menschen stammten wohl alle aus der Umgebung, denn sie starrten die Fremden unverhohlen an.
»Bon soir«, sagte Fortrand freundlich und nickte in die Runde. »Sehr freundlich, dass wir über Nacht bleiben können, dort draußen ist ja das reinste Unwetter.« Er legte den Mantel auf die Bank und setzte sich.
Sophie hatte wohl schon bestellt, denn ein Schankdiener brachte heißen Würzwein für die Eltern und Tee für die Mädchen, dazu Brot, Speck und Eintopf.
Die Menschen rings um sie schwiegen immer noch. Sophie blickte beunruhigt um sich. »Das ist ein wenig unheimlich hier, findest du nicht?«, flüsterte sie ihrem Mann zu.
»Wie es am Land eben so ist, typische Kleinstadt«, gab er gut gelaunt zurück. Er saß im Trockenen und Warmen, hatte zu essen und zu trinken, was wollte er mehr?
Er sah auf, als der Kutscher hereinkam und sich an einen Tisch setzte, der für das Gesinde reserviert war. Das war zwar so üblich, aber offenbar kannte er das Gasthaus hier schon, weil er so zielstrebig dorthin gegangen war. Ein wenig verwundert war Fortrand schon, da sie sich doch angeblich verirrt und dieses Städtchen nur durch Glück erreicht hatten. Andererseits, umso besser, dann würden sie morgen umso schneller auf die normale Route zurückfinden.
Sie aßen und tranken, ohne auf die Umgebung zu achten. Endlich wurden die Unterhaltungen wieder fortgeführt.
Nach einer Weile setzte sich jemand, ohne höflich zu fragen, an ihren Tisch. »Jacques Bonnair, zu Diensten«, stellte er sich vor. »Sie müssen die Leute entschuldigen, aber zu dieser Jahreszeit haben wir sonst nie Gäste.«
»Ja, ich weiß, bei dem Wetter jagt man keinen Hund vors Haus. Aber als wir losgefahren sind, war bestes Wetter, und es gibt einen guten Grund für unsere Reise.« Jean stellte nun sich und seine Familie vor und lächelte freundlich, wie es seine Art war.
»Ich wundere mich, wie Sie auf diese abgelegene Straße gekommen sind«, fuhr Bonnair fort. »Selbst im Sommer verirrt sich nur selten jemand hierher. Sind Sie der Gegend kundig?«
»Ganz und gar nicht, im Gegenteil. Alles, was ich weiß, ist, dass es recht karg ist und dennoch einen großen Schatz birgt.«
Jean entging nicht, dass sich bei der Erwähnung des Wortes mehrere Männer zu ihm umdrehten. Und auch Bonnair hob die Augenbrauen.
»Ja! Calvados! Von Ihren wunderbaren Apfelbäumen!« Jean strahlte über seinen Scherz.
Die Menschen beruhigten sich wieder, lachten sogar kurz und wandten sich wieder ihren Gläsern zu.
»Gewiss, da haben Sie recht.« Bonnair lächelte jetzt ebenfalls. »Dafür sind wir bekannt. Durch die Brennerei gelangen wir auch zu bescheidenem Wohlstand. Es gibt Arbeit und Auskommen für alle. Dennoch schätzen wir sehr unsere Abgeschiedenheit, wir sind da ganz traditionell. Veränderungen mögen wir nicht sehr.«
»Oh! Wir werden Sie nicht lange belästigen, schon morgen geht die Reise weiter.«
»Nun, dann will ich Sie auch nicht aufhalten, Sie sind sicher müde und werden bald zu Bett gehen.« Das klang schon fast wie eine Aufforderung.
Sophie beugte sich über den Tisch, nachdem Bonnair gegangen war. »Jean, hier stimmt doch etwas nicht! Die Leute sind sehr merkwürdig! Und wenn man bedenkt, wie schäbig diese Stadt von außen aussieht … das passt einfach nicht zusammen.« Sie stand auf. »Lass uns zu Bett gehen, ich bin sehr müde«, sagte sie lauter. »Kommt, Mädchen.«
Jean trank hastig aus und folgte ihnen nach oben. Das Zimmer war gerade erst eingeheizt worden und entsprechend kalt; das Wasser in der Schüssel mit einer Eisschicht überzogen. Ohne sich lang auszuziehen, kuschelten sie sich, die beiden Mädchen in der Mitte, alle ins Bett und zogen die Decken über sich.
»Aber was sollte denn nicht stimmen?«, fragte Jean in die Dunkelheit hinein. »Was passt deiner Ansicht nach nicht zusammen?«
»Diese Leute sehen viel zu … wie soll ich es sagen … wohlhabend aus? Viele tragen Goldschmuck. Wo haben sie den her? Mit Calvados allein kann man das nicht erreichen, erst recht nicht die Bauern, deren Eheringe klotziger sind als unsere. Und wir sind aus Paris und haben ein gut gehendes Geschäft!«
»Mag sein. Doch wir sollten uns nicht zu viele Gedanken machen. Morgen können wir sicher weiterfahren, und dann verschwinden wir aus diesem unangenehmen Ort. Lass uns deshalb jetzt schlafen.«
»Mir hat nicht gefallen, wie sie unsere Kinder angestarrt haben. Mit so einem komischen … gierigen Glitzern.«
»Das bildest du dir nur ein, Sophie, weil du deine hübschen Mädchen überbehütest. Aber nicht alle Menschen sind Bestien.«
Darin jedoch täuschte er sich …

Tja, Freude, passt gut auf euch auf, solltet ihr einmal in diese Herberge geraten! Und wenn ihr jetzt mitfiebert, ob Jean Fortrand und seine bezaubernde Familie die Nacht überleben, müsst ihr euch bis zum 2. Dezember gedulden. Ab sofort ist DAS HAUS ZAMIS 48 „Midwinterblut“ auf der Zaubermond-Website vorbestellbar.

Keep the Horror burning!
Uwe