Aufnahme – läuft!

11. März 2016

Heute öffnen wir einmal den Vorhang zur DORIAN HUNTER-Hörspielwerkstatt und beantworten eine Frage, die im Zusammenhang mit Hörspielen oft auftaucht: Was macht eigentlich der Regisseur? Mit der Antwort im Gepäck gibt es dann auch gleich eine „Quasi-Hörprobe“ aus Folge 30. +++ Aktualisiert (im Abspann): Dorian Hunter-Hörspielfolge 27, „Der tätowierte Tod“, wurde für den Vincent-Preis nominiert.

Die einfache und schnelle Antwort: Der Regisseur ist der, der dem Sprecher erklärt, was er wie zu sagen hat (und notfalls mit der Rute dafür zu sorgen hat, dass er das auch tut) …

Im echten Leben ist die Antwort natürlich etwas komplizierter. Zunächst einmal ist der Regisseur ähnlich wie beim Film derjenige, bei dem in der jeweiligen Aufnahmesituation die Fäden zusammenlaufen sollten. Er entscheidet zum Beispiel, ob eine Aufnahme gut war oder wiederholt werden muss. Ein Hörspielregisseur hat es dabei um einiges leichter als ein Filmregisseur, denn beim Film wird eine Einstellung einer Szene nahezu komplett vorbereitet (Schauspieler, Kulissen, Licht, Ton etc.) und dann aufgenommen. Vielleicht kommen hinterher Spezialeffekte dazu, oder es wird nachvertont oder ein bisschen nachcoloriert – aber in einem normalen Film ohne Megabudget gibt es (derzeit noch) keine Autoverfolgungsjagd ohne Autos. Das heißt, es hängt alles von diesem einen Augenblick ab, in dem die Kamera läuft. Beim Hörspiel dagegen werden die Sprecher allein aufgenommen. Ohne Kulisse, ohne Geräusche. Wenn also Dorian Hunter später auf dem fertigen Band eine Tür zuschlägt oder in einem Auto fährt, dann sind diese Sounds erst nachträglich eingefügt worden. So wie auch seine Stimme verändert wird, um sie jeweils zu einem Hausflur oder dem Inneren eines Autos passend zu machen. Bei der originalen Sprachaufnahme aber klingt er vollkommen „trocken“ (um das zu erreichen, braucht es sehr gut ausgestattete Aufnahmekabinen, weshalb Sprachaufnahmen eben auch in einem Tonstudio stattfinden müssen und nicht zu Hause am Küchentisch erledigt werden können).

Als Regisseur beim Hörspiel kann ich mich also komplett auf die Aufnahme mit dem Sprecher konzentrieren und muss nicht noch darauf warten, dass jemand eine Kulisse aufbaut, dass die Kameras alle positioniert und eingestellt sind etc. Es braucht „nur“ einen Tonmann. Ja, ich muss noch nicht einmal darauf warten, dass alle Sprecher da sind. Es reicht einer.

Nur ein Sprecher …? Ein Vorteil der „Nachvertonung“ eines Hörspiels mit dem späteren Einfügen von „Räumen“, Geräuschen und Musik besteht darin, dass die Sprachaufnahmen – ähnlich wie Geräusche – aus einzelnen Schnipseln zu einem Ganzen zusammengefügt werden können. Rein technisch ist das kein Problem. Im Gegenteil, es erleichtert vieles. Zum Beispiel die Planung einer Produktion, denn es ist selten möglich, alle Sprecher eines Hörspiels zu einem Termin an einem Ort zusammenzubringen (oder es würde sehr hohe Kosten verursachen). Außerdem hätte der Regisseur dann ca. zwanzig Sprecher im Studio, von denen aber gerade immer nur zwei oder drei etwas zu tun haben und die anderen sich den halben Tag langweilen und Kaffee trinken …

Dazu kommt der Vorteil, dass man sich auf die Arbeit mit einem Sprecher konzentrieren kann. Man kann einzelne Sätze wiederholen, bis es passt – man kann sich die Zeit nehmen, über die Figur zu sprechen und mit dem Sprecher zusammen den Charakter der Figur herauszuarbeiten.

Es gibt aber auch einen Nachteil, der nicht unterschätzt werden darf: Der Sprecher muss sich bei der Aufnahme zu hundert Prozent auf den Regisseur verlassen, denn er hat ja kein Gegenüber, mit dem er redet, sondern er spricht „ins Leere“. Der andere Part eines Dialogs findet in diesem Augenblick allein im Kopf des Regisseurs statt, und wenn dessen Vorstellung nicht präzise ist oder er beim Aufnahme des zweiten Dialogpartners vergessen hat, wie der erste einen bestimmten Satz gesagt hat, kann es schnell passieren, dass ein Dialog nicht mehr funktioniert.

Ein klassisches Beispiel dafür ist das „Entfernungsproblem“. Solange zwei Charaktere an einem Tisch sitzen und sich in Zimmerlautstärke unterhalten, tritt es kaum auf. Natürlich spricht ein Mensch typbedingt vielleicht grundsätzlich etwas lauter, der andere leiser, aber da geht es um Nuacen – und es gehört ja eben zu den Fertigkeiten eines professionellen Sprechers oder Schauspielern, eben nicht leise und vernuschelt zu sprechen, wenn es darauf ankommt … Aber was passiert z. B. in einer Szene wie in Folge 29.1 an der Pferdekoppel, wenn Coco Zamis, Robert Schwinger und Laura miteinander sprechen und sich dabei relativ zueinander bewegen? Zunächst ist Coco weiter weg, als sie im Näherkommen ruft „Was macht ihr da?“ Da muss sie also etwas lauter sprechen. Bei Ruperts Antwort „Siehste doch“ ist sie schon ein paar Schritte näher gekommen – also muss er etwas leiser antworten, als sie gefragt hat. Wenn er dann über den Zaun der Koppel klettert und sich dem Pferd nähert (und sich damit gleichzeitig von Coco entfernt), müssen sie wieder lauter sprechen … Und wieder hat zum Zeitpunkt der Aufnahme allein der Regisseur eine genaue Vorstellung, wie die Szene abläuft. Der Sprecher muss ihm vertrauen. Patzt der Regisseur, kann es sein, dass Coco leise fragt: „Was macht ihr da?“ und Robert Schwinger ihr die Antwort „Siehste doch!“ förmlich ins Gesicht brüllt. Schon ist der Dialog im Eimer …

Ein zweites, etwas weniger offensichtliches Beispiel für den Einfluss des Regisseurs ist das „Streitgespräch“. Nehmen wir wieder an, zwei Charaktere sitzen an einem Tisch und unterhalten sich. Sie sind wütend, aber sie zügeln sich. Doch irgendwann rastet einer der beiden aus. Aber wie genau rastet er aus? Brüllt er den anderen von einem Moment auf den anderen an? Oder steigert er die Lautstärke langsam? Ist er vielleicht gar nicht so wütend, sondern eher verächtlich, kalt und unnahbar? Auf all diese Informationen kann ein Sprecher nur spontan reagieren, wenn er sein Gegenüber hört. In unserem Fall also muss der Regisseur den genauen Ablauf des Streits vorgeben. Fast kann man schon von einer Probe wie beim Theater sprechen, wo dann auf der Bühne auch jeder Atmer und jedes Wort sitzen muss. Ein Sprecher muss sehr viel Einfühlungsvermögen und große schauspielerische Fähigkeiten besitzen, um so eine Aufnahme „natürlich“ klingen zu lassen.

In Folge 25.1 gab es ein Streitgespräch zwischen Dorian und Coco. Dabei ist Coco Dorian zum Auto gefolgt, hat sich neben ihn gesetzt, und dann wurde es nach einigen Vorwürfen laut. Sehr laut sogar. Diese Szene hatte eine Komplexität, die in einer Einzelaufnahme kaum noch in den Griff zu bekommen ist. Deswegen habe ich mich damals dafür entschieden, Thomas Schmuckert und Claudia Urbschat-Mingues zusammen aufzunehmen. So konnten sie direkt aufeinander reagieren. Die Szene ist dadurch viel „echter“ und lebendiger geworden, als sie bei einer Einzelaufnahme hätte sein können. Der Preis dafür: Beide Sprecher kamen extra nach Hamburg (Thomas mit der Bahn aus Berlin, Claudia mit dem Flieger aus München). Ein hoher zeitlicher und finanzieller Aufwand, der sich meines Erachtens jedoch absolut gelohnt hat.

Zum Abschluss habe ich euch ein kleines Beispiel aus der Praxis mitgebracht – ein Auszug aus der Originalaufnahme mit Stefan Krause alias „Olivaro“ aus der kommenden Folge 30. Er ist Teil einer Szene, in der Olivaro und Coco auf Schloss Behemoth miteinander tanzen. Um die Situation zu verstehen, sollte man sich vorstellen, dass sie sich in einem größeren Saal befinden und im Hintergrund eine Kapelle spielt (weshalb Olivaro und Coco einen Tick lauter miteinander sprechen, als es auf Nahdistanz üblich wäre). Die Anweisungen in Klammern sind im Skript enthalten und standen somit auch dem Sprecher bei der Aufnahme zur Verfügung:

Olivaro
(senkt die Stimme)
Wirklich schade, dass Sie mein Angebot ausgeschlagen haben.

Coco Zamis
(kalt)
Vielleicht wird Behemoth ja der neue Lord werden – an meiner Seite.

Olivaro
(lacht pflichtschuldigst)
Die Prozedur hat offenbar funktioniert.
Sie haben alles Menschliche verloren.
Sogar Ihre Skrupel.

Coco Zamis
(lächelt)
Ich kann mich nicht erinnern, was Sie meinen …

Olivaro
Aber falls Sie es sich doch noch anders überlegen sollten …

Ihr hört Stefan vor dem Mikro und meine Anmerkungen über Lautsprecher. Ich darf hinzufügen, dass Stefan ein hervorragender und äußerst umgänglicher Sprecher ist, sodass man hier wirklich von einer perfekten Zusammenarbeit sprechen kann.

+++Aktualisierung+++
Die Dorian-Hunter-Hörspielfolge 27, „Der tätowierte Tod“, wurde in der Kategorie „Bestes Hörspiel 2015“ für den Vincent Preis nominiert! Wer von euch dem DH seine Stimme geben möchte, kann dies am besten jetzt sofort tun, und zwar nach folgenden Regeln: In jeder Kategorie können von jedem Teilnehmer drei Stimmen abgegeben werden: 1. Platz (3 Punkte), 2. Platz (2 Punkte) und 3. Platz (1 Punkt). Ihr dürft auch nur für einen Platz votieren, wenn ihr nur einen Favoriten habt. Ein Zwang, in allen Kategorien zu stimmen, besteht ebenfalls nicht. Eure Stimmen schickt ihr per E-Mail an vincent@defms.de.