Alles dicht machen – na klar!

25. April 2021

Dies ist ein DORIAN HUNTER-Blog, und hier schreiben mehrere Autoren und Beteiligte. Ich, Dennis Ehrhardt, möchte darum betonen, dass der folgende Beitrag nur meine Meinung wiedergibt:

53 bekannte Schauspieler haben sich vor ein paar Tagen unter dem Hashtag #allesdichtmachen in kurzen Video-Clips ironisch über die Art und Weise geäußert, wie wir alle seit über einem Jahr in Angst leben. In einem der Videos ist Jens Wawrczeck zu sehen, den viele von euch als „Peter Shaw“ aus den Drei Fragezeichen kennen.

Wenn ich die Videos richtig gedeutet habe, möchten die Schauspieler damit unseren drei regulären Gewalten (der gesetzgebenden, der ausführenden und der rechtsprechenden) sowie der oft als „vierte“ Gewalt bezeichneten Presse einen Spiegel vorhalten. Oder sagen wir besser zweien davon, denn die Legislative hat sich ja schon vor einem Jahr ins Wachkoma verabschiedet und die Judikative ist ihr zuerst eigeninitiativ schleichend und jetzt durch die letzte Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf Wirken unserer Regierung auch ganz offiziell dorthin gefolgt.

Es ging also um Kritik an Regierung und Presse. Aber auch das ist meines Erachtens nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich trifft die Kritik wohl uns alle: eine Gesellschaft, die zu denken, zu fühlen und zu leben aufgehört hat, weil sie sich nur noch über ihre Angst vor Corona definiert und dabei ihr „Grundgesetz gegen die letzte Rolle Klopapier eingetauscht“ hat, wie die „Echse“ von Michael Hatzius schon vor fast einem Jahr analysiert hat.

In so einer Gesellschaft hat natürlich auch Ironie keinen Platz mehr. Die Kritik an der Aktion folgte darum auch auf dem Fuße. In der „Süddeutschen“. Im „Tagesspiegel“. Im „Spiegel“. In der „ARD“. Im „ZDF“. Die Aktion sei „schäbig“ und „eklig“. Und natürlich „missglückt“. „Missglückt“ ist am allerwichtigsten, auch wenn zumindest mir nicht klar ist, wie die Presse das noch in derselben Nacht feststellen konnte. Ach, doch, stimmt: weil man damit Rechten in die Hände spiele. Journalisten wissen eben besser als wir, wann das der Fall ist. Und Jan Böhmermann hat die Schauspieler sogar alle für nicht ganz dicht erklärt. Wobei das natürlich nur Satire war, haha. Und ein Politiker, der zugleich im WDR-Rundfunkrat sitzt, hat gefordert, dass die beteiligten „Tatort“-Schauspieler wegen dieser Entgleisung bitteschön alle ihre diesbezügliche Jobs verlieren sollen. Das wiederum war ernst gemeint (auch wenn er inzwischen zurückgerudert ist). Und ein Moderator von WDR Aktuell hat sich nicht entblödet, seinen vom Verfassungsgericht hervorgehobenen Medienauftrag, neutral und ausgewogen zu informieren, ganz offen zu ignorieren und Jan Josef Liefers in einem Interview vorzuwerfen, dass er die WDR-Aktuell-Redaktion verärgert habe. Als wäre es Liefers’ Aufgabe, genau das auf keinen Fall zu tun.

Wir lernen also: Wenn die Presse auf Kritik an Regierung und Presse hysterisch reagiert, dann keinesfalls, weil es sich um Kritik an Regierung und Presse handelt. Sondern weil man damit Rechten in die Hände spielt. Und das wollt ihr doch nicht, oder, Jensilein? Dududu. In diesem Land wird nämlich niemand, niemand, niemand in Angst, Angst, Angst gehalten, hast du das verstanden, verstanden, verstanden?

Ein Drittel der Schauspieler hat inzwischen tatsächlich verstanden, seine Videos wieder aus dem Netz genommen und ist öffentlich zu Kreuze gekrochen. Weil – Achtung, Fakten – im Schnitt 90% der Bewertungen unter den Videos auf Youtube positiv waren … ach, nee, weil die Aktion missglückt sei und Rechten in die Hände gespielt habe und weil man niemanden habe verletzen wollen.

Merkt ihr selber, ne?

„Es gibt die Freiheit der Rede, aber was ich nicht garantieren kann, ist die Freiheit nach der Rede.“ Idi Amin (1928-2003), selbstgewählter Titel lt. Wikipedia: „Seine Exzellenz, Präsident auf Lebenszeit, Feldmarschall Häddsch Doktor Idi Amin Dada, Viktoria-Kreuz, Orden für hervorragenden Dienst, Militärkreuz, Herr aller Tiere der Erde und aller Fische der Meere und Bezwinger des Britischen Weltreichs in Afrika allgemein und besonders in Uganda“

Und darum ab jetzt ganz ohne Ironie: Menschen machen Fehler, ja. Und Menschen sind nicht alle gleich, sodass nach meiner Vermutung einige der Schauspieler sehr reflektiert an diese Aktion herangegangen sind und andere etwas weniger reflektiert. Aber wurde in irgendeiner der in bester Idi-Amin-Tradition produzierten Medienreaktionen einmal die Frage gestellt, warum sich diese 53 Schauspieler überhaupt zusammengetan haben? Und warum erst so spät? Warum offenbar keiner von ihnen eine Aussicht sah, allein mit seinem Anliegen durchzudringen? Warum sie – augenscheinlich zu recht – glaubten, öffentlichen Druck bis hin zu beruflichen Konsequenzen fürchten zu müssen? Ein Lockdown-begeisterter Physiker hat auf Twitter gefordert, Listen über die teilnehmenden Schauspieler und ihre Follower anzulegen. Nach Aussage von allesdichtmachen.de wurden inzwischen sogar die Familien einiger Schauspieler bedroht.

Der Regisseur Dietrich Brüggemann, der als einziger Nicht-Schauspieler an dieser Aktion teilgenommen hat, erklärt dazu: „Wenn Kritik an Corona-Politik rechts ist, dann ist meine linke Hand auch rechts.“ Sein Statement ist großartig und viel besser als mein Text hier. Präziser kann man den Punkt nicht treffen.

Ich könnte noch so viele Zeilen schreiben, wie sehr ich mich über die Aktion und den Mut der Schauspieler gefreut habe. Wie sehr ich nach jedem gelöschten Video gehofft habe, dass nicht noch mehr von ihnen den Mut verlieren. Und wie leid mir Leute wie Jan Böhmermann tun, die so ungeheuer viel Energie darauf verwenden, in der Öffentlichkeit von sich selbst das Bild eines Rebellen zu zeichnen, während sie sich doch seit Beginn ihrer Karriere mit allen zehn Fingern an das wärmende Kaminsims des öffentlich-rechtlichen Rundfunks klammern.

Aber ach, ich wollte ja gar nicht negativ werden. Ich will positiv bleiben. Darum: Danke an dich, Jens, und danke an euch 52 andere, dass ihr öffentlich und unter eurem Namen Stellung bezogen habt. Ja, auch an jene von euch, die abgesprungen sind, denn auch ihr fühlt trotz dieser Entscheidung offenbar, dass in unserer Gesellschaft vieles nicht mehr stimmt. Vielleicht war das schon immer so, aber seit März 2020 hat sich die Situation noch einmal dramatisch verschlimmert.

Mögen wir alle den Mut aufbringen, unser Recht auf Menschsein, auf unterschiedliche Meinungen, auf Diskurs sowie überhaupt alle unsere Grundrechte wieder einzufordern. Damit verletzen wir niemanden außer denen, die genau das nicht wollen. Wir müssen es aber selber tun. Auf die Regierung oder irgendwelche Medien sollten wir uns lieber nicht verlassen.

Liebe Grüße und bis nächsten Freitag, wenn es hier wieder um DORIAN HUNTER geht.

Dennis Ehrhardt

Nachtrag: Inzwischen hat Dietrich Brüggemann in einem Interview erklärt, dass einige der Schauspieler, die abgesprungen sind, weiterhin hinter der Aktion stehen und nur aus einem Grund ihre Videos zurückgezogen haben: weil ihre Kinder bedroht wurden. Das wäre doch mal eine Recherche wert, liebe Medien.