„Musik war immer mein schlechtestes Fach“

17. August 2018

Vor einiger Zeit haben wir Andreas Meyer bereits zu seinen Kompositionen für den DORIAN HUNTER-Soundtrack befragt. Dennis Simcott hat nun noch einmal den Kontakt gesucht und weitere Informationen aus Andreas herausgekitzelt. HIer findet ihr das komplette Interview:

Dennis: Du hast für die Hörspielserie DORIAN HUNTER nahezu den kompletten Score, d. h. die gesamte Musik der Serie, komponiert. Auch bei JOHN SINCLAIR wird seit Folge 71 fast ausschließlich deine Musik verwendet. Wann hast du mit dem Komponieren begonnen? Hast du studiert, oder ist alles selbst erlernt?

Ich bin in erster Linie Autodidakt, hatte aber das Glück, dass sich mein Vater Anfang der 80er eine große elektronische Orgel kaufte. Damit fing eigentlich alles an. Ich nahm Unterricht bei einem Musiklehrer, der mir zunächst die grundsätzlichen Spieltechniken beibrachte – ich hatte ja von nichts eine Ahnung, und Musik war in der Schule immer mein schlechtestes Fach. Allerdings habe ich mich damals schon sehr für Synthesizer, Klanggestaltung und Pop-Musik interessiert. Ich habe dann Songs, die zu der Zeit im Radio liefen, nachgespielt, zum Beispiel O.M.D., „Maid of Orleans“. Irgendwie, ich weiß nicht genau warum, muss ich mich wohl auch dafür interessiert haben, wie Pop-Musik funktioniert. Mein Lehrer hat das aufgeschnappt, mich gefördert und mir gleichzeitig mit den Spieltechniken die Grundlagen der Kompositionstechnik beigebracht. Ich habe also beides zusammen gelernt, im frühen Teenager-Alter – wie man die Finger setzt und nach welchen harmonischen, melodischen und rhythmischen Gesetzmäßigkeiten Pop-Songs gestrickt werden.

Welche Instrumente beherrscht du? Spielst du die Instrumente alle selbst ein, oder holst du dir andere Musiker ins Studio?

Ich hatte ehrlich gesagt nie ein Interesse daran, ein Instrument zu beherrschen, so wie es ein Virtuose kann. Ich hatte auch keine Lust, stundenlang Klavierstücke zu üben oder überhaupt irgendetwas nachzuspielen. Mir kam es immer nur darauf an, ein Instrument so weit zu beherrschen, dass ich damit komponieren kann.

Im klassischen Sinne beherrsche ich also gar kein Instrument – bis auf den Sampler beziehungsweise die Sampling-Technologie. Damit bin ich schon sehr vertraut. Musiker hole ich mir nicht ins Studio. Fast alle klassischen Instrumente, die ich für die Soundtrack-Musik verwende, basieren auf Samples. Ich habe hier im Studio zwar auch eine Gitarre, einen Bass, Flöten, Schlagzeugequipment und so weiter, aber wenn ich mal einen ganz speziellen Gitarrenakkord brauche, dann muss ich mir erst ein YouTube Tutorial dazu anschauen, sonst wüsste ich nicht, wie der Akkord gegriffen wird.

Das alles aber ist für einen Komponisten nichts Ungewöhnliches. Als Komponist muss man in erster Linie wissen, wie Instrumente gespielt werden, man muss sie ja nicht selbst spielen können (dafür gibt es ja die hervorragenden Orchestermusiker). Das einzige Instrument, dass man als Soundtrack-Komponist auch praktisch ein klein wenig beherrschen muss, ist wahrscheinlich das Klavier. Dort hat man eine Hand frei für die Melodie, die andere Hand für die Harmonie. Mehr braucht man eigentlich nicht zum komponieren. Der Rest entsteht im Kopf.

Deine Musik ist sehr vielseitig. Die Musik für DORIAN HUNTER ist total anders als bei SONDERBERG & CO. oder DIE ELFEN. Welche Musikrichtung liegt dir am nächsten, und wie würdest du den Stil dieser Richtung beschreiben?

Aktuell höre ich sehr viel Soundtrack-Musik, besonders „Game of Thrones“ von Ramin Djawadi. Ansonsten noch Alexandre Desplat mit seinem Soundtrack zu „The Ghostwriter“, einem Film von Roman Polanski, oder „The Imitation Game“ mit Benedict Cumberbatch. Welche Musikrichtung mir am nächsten liegt? Generell vermutlich elektronische Musik, das was in den 80er Jahren Krautrock genannt wurde. Dazu gehören die früheren Alben von Tangerine Dream, Ashra, Kraftwerk oder auch Jean-Michel Jarre. Später dann „New Romantics“ wie The Human League, Tears for Fears oder damals auch Depeche Mode und vor allem Gary Numan. Kurz darauf die Neue Deutsche Welle mit Fehlfarben, DAF und Ideal. Gegen Ende der 80er dann Front 242 oder die britische Band Clock DVA. Stilistisch fällt das alles vermutlich unter das Label EBM, also „Electronic Body Music“. Die Liste könnte ich für jedes folgende Jahrzehnt fortsetzen. Nur Rockmusik ist allgemein weniger mein Ding. Das ändert aber nichts daran, dass – wie ich finde – zum Beispiel Kurt Cobain, AC/DC oder Metallica geniale Songs schreiben.

Hörst du dir bestimmte Szenen vorher an, um ein Gespür zu bekommen, oder bekommst du spezifische Anweisungen vom Auftraggeber wie etwas klingen soll?

Zu hören bekomme ich vorab selten etwas. Aber ich lese fast immer die Skripte. Dazu mache ich mir dann Notizen. Gerade wenn es um Episoden geht, die in der Vergangenheit spielen (wie kürzlich beim Inka-Zyklus von DORIAN HUNTER),  entstehen immer schon bei der Lektüre die ersten Ideen. In der Folge betreibe ich aber auch Recherche. Ich schaue mir zum Beispiel an, welche Musikinstrument die Inkas kannten und benutzt haben. Diese oder ähnliche Instrumente verwende ich dann für den Soundtrack, verfremde sie aber.

Gerade die Musik für DORIAN HUNTER ist sehr originell. Woher stammen die Sounds? Wie entsteht ein solcher Track?

Ich sammle Samples für Hunter mit einem mobilen Aufnahmegerät. Zum Beispiel in der Stadt, in Tiefgaragen, im Krankenhaus, im Keller, oder auch auf dem Dachboden, wo alles mögliche Zeug rumliegt: Kinderspielzeug, Wäscheleinen, alte Schränke, Eisenstangen. Neuerdings nehme ich zwei Drumssticks mit und spiele auf den Sachen herum. Oder ich rüttle an ihnen, möglichst rhythmisch zum Beispiel an einem Kinderwagen. Ich ziehe Schubladen auf und wieder zu, drehe an Schlössern und nehme das alles auf. So habe ich erstmal einen Pool an Samples. Die Samples werden dann in den Computer übertragen, dort geschnitten, verfremdet und in eine Kompositionsmatrix eingesetzt. Es gibt immer rhythmische Geräuschelemente (wie Türklinken, Wäscheleinen-Gezirpe oder Fensterschlagen) und harmonisch-melodische Elemente (wie die Schreie von Buntfalken, Weingläser, oder auch das Quietschen von Türangeln). Aus diesen zwei Elementen setzen sich die meisten Hunter-Stücke im Wesentlichen zusammen.


Wie lange ungefähr benötigst du für ein Stück? Geht das sehr schnell, oder sitzt du auch mal Wochen an einem Stück?

Wenn ich mal länger an einem Stück sitze, dann meist nur an Titelmusiken. Diese muss ja sehr genau passen, und es gibt immer viel Rücksprache mit den Produzenten, die ihre eigenen Vorstellungen und Vorlieben haben. Ansonsten entstehen die Tracks sehr schnell. Das geht aber nur dann, wenn alles gut vorbereitet ist. Bei Hunter verwende ich neunzig Prozent der Zeit auf die „Zubereitung“ der Klänge, und vielleicht nur zehn Prozent auf die eigentliche Komposition. In der Regel wird mir bei der Zubereitung der Klänge schon klar, wie das Stück am Ende klingen muss.

Bei Sinclair ist das wieder völlig anders. Sinclair basiert auf klassischer Kompositionstechnik, also Melodie und Harmonie. Die Motive werden am Klavier komponiert, was schon mal Zeit in Anspruch nehmen kann. Die Umsetzung der Themen in ein Orchesterarrangement dauert dann noch mal bedeutend länger.

Seit Juni 2018 gibt es den Soundtrack zu DORIAN HUNTER („Hunteresque“) sowie den „Original JOHN SINCLAIR Soundtrack“ mit von dir persönlich ausgewählten Stücken endlich auf CD und MC. Was bedeuten dir diese Formate? Fehlt eigentlich noch eine Schallplatte, oder?

Eine Platte gab es für Hunter ja bereits schon, wenn auch nicht für den Soundtrack. Die Formate bedeuten mir schon etwas. Ich bin mit Hörspielen und Hörspielplatten (seltener Kassetten) aufgewachsen. Das waren die ersten Medien, über die ich als Kind frei verfügen konnte. Sicher stammt daher auch mein Interesse an klassischer Musik, denn viele der Karl-May-Hörspiele zum Beispiel waren, soweit ich mich erinnere, mit Orchesterwerken von Haydn unterlegt.

Ich habe immer noch viele der alten Hörspielplatten in meinem Regal. Daran sind natürlich Erinnerungen geknüpft, und für mich macht es einen Unterschied, ob man die Erinnerung an einen Gegenstand binden kann oder nicht. Gegenstände wie LPs oder Kassetten sind außerdem unglaublich verlässliche Medienformate. Du kaufst sie dir, und wenn du sie einigermaßen gut behandelst, hast du sie ein Leben lang und kannst sie auch ein Leben lang nutzen. Und darauf kann man sich – im Gegensatz zu rein virtuellen Formaten wie z. B. bei Spotify – auch verlassen.

Neben deinen Soundtrack-Kompositionen verfolgst du auch eigene Projekte, unter anderem „Vatronique“ und „Forma Tadre“ aus? Wird es da bald wieder Neuigkeiten geben?

Ich arbeite – wie immer eigentlich – an einem neuen Forma-Tadre-Album. Das letzte Album, „The Music of Erich Zann“, ist 2008 erschienen, das ist ja schon zehn Jahre her. Ich bin aber jetzt ganz guter Dinge, dass ich in diesem Jahr ein neues Album fertigstellen kann. Mit der Veröffentlichung wird es dann aber sicher noch mal ein halbes oder ein ganzes Jahr dauern.