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Seit SONDERBERG & CO. im Jahr 2011 gestartet ist, habe ich jede Menge Reaktionen auf die Serie bekommen – sei es in Rezensionen, in Briefen oder E-Mails, aber auch in persönlichen Gesprächen mit Hörern oder Sprechern, die an der Serie mitwirken. Erstaunlicherweise hat dabei fast jeder, der die Serie kennt und schätzt, einen Lieblingscharakter. Und noch »erstaunlichererweise« – ist es immer derselbe:
Gregor.
Ja, genau: Sonderbergs lebenshungriger, immer ein wenig hektisch und verpeilt wirkender Neffe, diese Karikatur eines Lebemanns, dessen ehrliches Bemühen, Dr. Sonderberg bei der Lösung eines Falles zu unterstützen, in der Regel fruchtlos, aber dafür umso seltener harmlos bleibt … und der dabei jede Menge persönliche Lebenspläne quasi im Handumdrehen neu ent- und wieder verwirft …
Was zum Geier macht diese sprunghafte Mischung aus Tunichtgut und Hans-guck-in-die-Luft in den Augen und Ohren der Hörer so sympathisch?
Die naheliegende – und unzweifelhaft absolut richtige – Antwort darauf lautet: Es ist Andreas Fröhlich, der Gregor seine Stimme leiht und damit nicht zum ersten Mal beweist, dass er so viel mehr kann, denn als „Rechercheur und Archivar“ Bob Andrews den introvertierten Stichwortgeber für Justus Jonas zu geben. Ich hatte mir von Beginn an gewünscht, dass er die Rolle ausfüllen möge … und habe innerlich gejubelt, als er zugesagt hat! Tatsächlich spielt Andreas Gregor genau so, wie man ihn spielen muss – und das, ohne dass die Regie in einem nennenswerten Maße eingreifen müsste.
Allerdings glaube ich auch, dass es auf die Frage, warum die Figur Gregor etwas in uns anrührt, noch eine zweite Antwort gibt. Ich glaube, dass viele von uns in Gregor ein Teil von uns selbst erkennen. Oder vielleicht doch lieber – ja, gönnen wir uns diese scheinheilige Ausflucht! – einen Teil unserer erlebten und erfahrenen Umgebung. Was mich selbst betrifft, so gilt das übrigens für beinahe jede Hauptfigur der Serie. Logisch. Ich habe sie ja erfunden.
Zum Beispiel habe ich mich, bevor ich mich dem Entwickeln und Schreiben von Geschichten widmete, Mathematik studiert. Ich glaube nicht, dass ich ein besonders guter Student war. Auf jeden Fall war ich faul, und die ehrliche Faszination, die ich bis heute für Zahlen, Formeln und logische Konstrukte empfinde, wurde leider immer wieder torpediert von dem Desinteresse, dass ich harter Arbeit entgegenbrachte, wie sie im Studium gemeinhin das Bewältigen der alltäglichen Übungsaufgaben erfordert.
Am Ende habe ich den Abschluss zwar geschafft (und hoffe bis heute, dass mich niemals jemand fragen möge, wie …). Dennoch bin ich überzeugt davon, dass Dr. Sonderberg der bessere Mathematiker von uns beiden ist. Selbstverständlich ist er das! Er ist sozusagen der Logiker, der ich gerne wäre. Und außerdem ist er versponnen, was ich auch gern wäre, mir aber nur selten leisten kann.
Ich bin wahrscheinlich eher schusselig. Wie Inspektor van den Beeck (dem ich trotzdem nicht eine gewisse Bauernschläue absprechen möchte, die ich auch gerne hätte). Auf jeden Fall bin ich nicht so energisch und ordnungsliebend wie Minnie Cogner. Und vermutlich auch nicht so herzlich, leider. (Wer für Minnies Charakter Patin gestanden hat, habe ich ja in einem der frühen Beiträge erzählt.)
Ganz, ganz sicher aber – und damit schlage ich den Bogen zurück – steckt im mir ein großer Teil Gregor. Und so war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis er in der Serie auftauchte. Sie hat förmlich nach ihm geschrien! Da gab es diese Szene im zweiten Fall. Die Älteren unter uns erinnern sich: »Der Tote im Rhein«. Die Geschichte, die ursprünglich als Startschuss der Serie eingeplant war (deswegen hat die Detektei zu Anfang dieser Folge auch ihr Türschild erhalten). Erst ein paar Wochen später, als ich am »Mord auf Schloss Jägerhof« schrieb, erschien es mir diese Folge plötzlich als der bessere erste Fall – weil er sich erst einmal sehr auf die Figuren Sonderberg und Minnie konzentrierte …
Aber zurück zu Gregor. Er platzte also buchstäblich herein. Durch die Tür von Sonderbergs Arbeitszimmer. Mit der Idee, Fotograf zu werden … und einem winzig kleinen Liquiditätsproblem – von dem wir inzwischen bekanntlich wissen, dass es ihn chronisch begleitet. Tja, und da war er nun – und ich hatte keine Ahnung, was in Zukunft aus dieser Figur werden würde. Was aber nicht daran lag, dass sie mir fremd war … sondern dass mir von der ersten Sekunde, vom ersten Wort, das Gregor sagte, an klar war, dass er komplett frei war. Ein Mensch ohne Verantwortung, frei von der Last der Vergangenheit, frei außerdem von (zumindest wesentlicher) Sach- oder Fachkenntnis. Ein Mensch, der einfach das tat, was ihm gerade in den Sinn kam. Weil er es für richtig hielt. Ein Mensch, der ausschließlich fühlte. Und niemals dachte. Obwohl er zweifellos oft glaubte zu denken. Aber echtes Denken ist Gregor nicht möglich. Er hat keinen Verstand. Er hat nur seinen Bauch. Dabei ist er aber nicht unbedingt ein fleischgewordenes Freudsches Es, sondern vielmehr ein hedonistischer Traumtänzer. Ein Mensch, der von dem Gedanken beseelt ist, ein gutes und richtiges Leben zu führen … ohne zu merken, dass das richtige Leben gerade an ihm vorbeiläuft.
Oder ist es in Wirklichkeit vielleicht genau umgekehrt? Läuft das Leben an uns vorbei? An uns, die wir über Gregor lachen und dabei die täglichen und alltäglichen Ketten übersehen, in die wir selbst geschlagen sind … die wir Hypotheken abbezahlen, weil wir uns irgendwann mal dazu verpflichtet haben, die wir eine Geht-so-Ehe führen und vielleicht einen Beruf ausüben, den wir mit Glück ganz okay finden, bei dem uns aber dennoch der Gedanke mit Schrecken erfüllt, dass er uns vielleicht ein ganzes Leben begleiten wird … weil wir uns irgendwann einmal dazu verpflichtet haben …?
Gregor hat sich zu nichts verpflichtet. Niemals. Außerdem entscheidet er nicht. Und wenn doch, dann entscheidet er sich eben hinterher wieder um. Ganz wie es passt. Vielleicht sind ja wir die Dummen und Gregor der Schlaue?
Ich glaube, dass es nicht klug ist, diese Frage vorschnell zu beantworten – weder in die eine, noch in die andere Richtung. Es hat auch seine Vorteile, die linke Gehirnhälfte zu benutzen und die wichtigen Entscheidungen des Lebens nicht allein der rechten zu überlassen. Dabei hätte Letzteres tatsächlich einen vollkommen offensichtlichen Vorteil. Wir würden niemals darüber nachdenken, was wir falsch gemacht haben. Sondern einfach fühlen, was wir als nächstes tun sollten.
Wie Gregor.
Was für ein schönes Leben …!