Die Folterkammer – ein einzigartiger „Dämonenkiller“-Roman

15. Dezember 2021

Heute ein verspäteter Blogbeitrag von mir, da ich die letzte Woche leider ein paar Tage krank war. Inzwischen aber wieder frisch gestärkt, möchte ich hier noch einmal auf den Roman „Die Folterkammer“ zurückkommen, der kürzlich als Doppelband 83/84 in der Romanheft-Neuauflage von DORIAN HUNTER erschienen ist. Wie viele von euch wissen, ist dieser Roman seinerzeit ja nicht in der ersten Auflage erschienen, sondern erst einige Jahre später im Rahmen der „Dämonenkiller“-Taschenbuchreihe. In Romanheft 84 habe ich auf der Leserseite MYSTERY-PRESS (der umfangreichsten MP aller Zeiten!) darum vier Artikel gebracht, die der Leser Juerg Schmidt dankenswerterweise verfasst hat. Heute möchte ich hier den ersten davon bringen, der sich intensiv mit dem Roman selbst auseinandersetzt:

DIE FOLTERKAMMER       
Ein einzigartiger „Dämonenkiller”-Roman

von Juerg Schmidt

Mit dem aktuellen Zweiteiler wird den DH-Fans eine Premiere präsentiert: Erstmals wird Ernst Vlceks Roman „Die Folterkammer” im Heftformat veröffentlicht! Denn ursprünglich war das Werk überhaupt nicht Teil der klassischen „Dämonenkiller“-Romanheftserie, sondern erschien im Rahmen der „Dämonenkiller“-Taschenbuchreihe.

„Die Folterkammer“: Original-Ausgabe der „Dämonenkiller“-Taschenbuchreihe, Pabel-Verlag, 1976

Ein Blick zurück: Die „Dämonenkiller“-Serie nahm ihren Anfang mit dem Roman „Im Zeichen des Bösen”, erschienen am 17. Juli 1973 in der Romanheftreihe „Vampir Horror Roman“. Sie entwickelte sich zu einer Subserie im Programm, wurde aber rasch entkoppelt: Ab dem 22. Oktober 1974 erschien der „Dämonenkiller“ (kurz DK) als eigenständige Heftserie, beginnend mit Band 18, „Das Fest auf dem Teufelshügel“. Ein halbes Jahr später, im März 1975, fiel dann der Startschuss für die monatlich erscheinende „Dämonenkiller“-Taschenbuchreihe. Die Aufmachung orientierte sich an der Heftserie, insbesondere der halbbogenförmige Titelschriftzug ließ die Leserschaft ein Spin-Off der DK-Hefte erwarten. Dazu trug auch der Umstand bei, dass der erste Band, „Blutige Tränen“, aus der Feder von DK-Chefautor Ernst Vlcek stammte.

Die Fans waren ziemlich ernüchtert, als sie feststellten, dass die Taschenbücher so gar nichts mit dem DK-Kosmos zu tun hatten. In der Tat haben nur elf der insgesamt 63 Taschenbücher überhaupt einen Bezug zur DK-Serie, und zehn davon schildern die Jugendabenteuer der Hexe Coco Zamis (exakt diese Romane bildeten bekanntlich den Grundstein für die Serie DAS HAUS ZAMIS, die mittlerweile ebenfalls als Romanheftneuauflage bei Bastei erscheint). Das DK-Taschenbuch Nr. 22, „Die Folterkammer“, war demnach das einzige, das eindeutig in der klassischen DK-Serie zu verorten war.

Der Roman erschien im November 1976. Die Handlung der DK-Romanheftserie war um diese Zeit weiter vorangeschritten, im gerade angelaufenen Großzyklus stand die Veröffentlichung von Band 119 bevor (nach DORIAN HUNTER-Zählung wohl Band 122 entsprechend). „Die Folterkammer“ ist in der Serienchronologie rasch eingeordnet: Die Andeutung, dass Dorian und Coco mit der Einrichtung des Castillos Basajaun beschäftigt sind, und der Verweis auf den Ethnologen Burkhard Kramer, der im Folgeband persönlich auftritt, platzieren die Geschichte zwischen Band 82, „Die geraubte Mumie“, und Band 85, „Die Zeit der Zwerge“.

Autor Ernst Vlcek hatte sich den grundlegenden Problemen einer Begleitserie zu stellen: Um Neulesern den Zugang zur Story zu erleichtern (und sie für die Hauptserie zu interessieren), sollte das Taschenbuch nicht allzu viele oder komplizierte Kenntnisse der Romanhefte voraussetzen. Umgekehrt sollten auch die „Nur-Hefte-Leser“ nicht verärgert werden, etwa wenn die Taschenbuch-Story zum Verständnis der Hauptserie unverzichtbar gewesen wäre. Und schließlich sollte für die Fans, die sowohl die Hefte als auch das Taschenbuch lesen wollten, das eine oder andere „Schmankerl“ bereitstehen.

Die Lösung für alle diese Ansprüche fand Vlcek in einem der Markenzeichen des DK: in den früheren Leben der Titelfigur. Zudem griff er die in der phantastischen Literatur so beliebte Zeitreise-Thematik auf. Mit „Die Vampirin Esmeralda“ und dem Inka-Zyklus waren bereits in der Romanheftserie verschiedene Varianten des Themas behandelt worden. In der Tat fallen gewisse Parallelen zwischen „Die Folterkammer“ und „Esmeralda“ ins Auge. Generell scheint sich Vlcek vor allem überlegt zu haben, wie er Neulesern verdeutlichen kann, worum es in der Serie geht. Das ist die Erklärung dafür, dass viele Handlungselemente dem Heftleser bekannt vorkommen – Stichwort „Dämonenpfand“. Zu den angesprochenen „Schmankerln“ gehören die aktivere Rolle von Sabrina Becker, der Tochter des Großmeisters der Magischen Bruderschaft in Frankfurt, und die sacht eingestreuten Hinweise auf folgende Ereignisse. Über den Golem und die Erschaffung künstlichen Lebens in Paris, die Dorian erwähnt, wird in Kürze zu lesen sein.

Befreit vom Zwang, eine Geschichte innerhalb von 60 Seiten abhandeln zu müssen, entwickelte Ernst Vlcek einen geradlinigen und doch vielschichtigen Plot mit einer Vielzahl interessanter Figuren. Dass „Die Folterkammer” nicht so viel Bezug zum Serien-Arc entwickelt und in den Schlussabschnitten auch gar zu routiniert geschrieben wirkt, trübt den Genuss nur wenig. Denn klar erkennbar ist eine Stärke, die beide DK-Gründungsautoren, Vlcek und Davenport, auszeichnete: Personen mit wenigen, aber prägnanten Sätzen treffend zu charakterisieren: den knorrigen Gemeindediener Melchior Lembach etwa, dessen eitlen Namensvetter Hennig oder die – fast schon im Wortsinn – berufene Wissenschaftlerin Ursula Schumann. Etwas aus der Zeit gefallen wirkt aus heutiger Sicht die ängstliche, um nicht zu sagen hysterische Irene Horn. Sie entspricht in der Darstellung gängigen Frauenklischees der 1970er Jahre und wirkt wie ein allzu extremer Gegenentwurf zu Coco, Sabrina und Ursula.

Gräfin Sidonie Adele von Krudesheim gehört zu den starken Frauenfiguren Vlceks. Welcher Natur die Dame ist, deutete der Autor gleich in ihrer ersten Szene an, wenn er sie sagen lässt: „Liebe (Ö) ist ein Wort, das ich nicht kenne.“ Auf die Beschreibung ihres Aussehens verzichtet Vlcek weitgehend, es wird nur ihre außergewöhnliche Schönheit erwähnt. Clever: So kann der Leser sein persönliches Idealbild imaginieren, und zugleich rückt der Fokus stärker auf Sidonies Charakter.

Auch der große Gegenspieler wird nur kurz beschrieben: Erasmus von Keittel ist ein Zwerg mit einem knochigen Gesicht und Donnerstimme, in Leder gekleidet, mit einem spanischen (also breitkrempigen) Hut. Der Vorname „Erasmus“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „liebenswert“. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Name vom Autor bewusst gewählt wurde, aber solche scheinbar ironischen Züge sind in Vlceks Werk häufiger zu finden; man denke nur an Michael Zamis (ein Engelsname mit der Bedeutung „wer ist Gott gleich“). Mit welcher Art von Dämon wir es hier zu tun haben, wird lange offengelassen. Erst zum Schluss der Vergangenheitsepisode zeigt Keittel seine wahre Gestalt.

Interessant ist, dass Keittel seine Gegner weniger mit magischen denn mit menschlichen Mitteln bekämpft. Als Beauftragter (Commissario) des Herzogs Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, des letzten katholischen Fürsten in Niedersachsen, leitet er die Hexenverfolgung in Velchen. Dieses Vorgehen entspricht historischen Tatsachen: Die Hexenprozesse wurden im Wesentlichen von weltlichen Gerichten geführt. „Der Wille, Hexen zu verfolgen, kam klar aus der Bevölkerung“, wird der Historiker Dr. Peter Mario Kreuter im Magazin „Hörzu Wissen 5/2010“ zitiert. Die Motive der Menschen waren vielfältig: Krisen wie Hungersnöte infolge der Kleinen Eiszeit oder Pestseuchen konnten sich die Leute nur durch Hexenwerk erklären. Und natürlich gab es die ganz simplen egoistischen Beweggründe wie Habgier oder Flucht vor der Verantwortung: Der Bauer Egger, von dem der Wirt Fischbaum berichtet, ist dafür ein Paradebeispiel. So mancher menschliche Zeitgenosse treibt es fast genauso übel wie die Dämonen, das wird in „Dorian Hunter“ immer wieder gezeigt.

Der aktuelle Stand der Forschung überrascht mit dem Fakt, dass die kirchliche Inquisition bei weitaus weniger Hexenprozessen federführend war als gemeinhin angenommen. Zeitweise hat die Kirche sich sogar ausdrücklich gegen die Hexenverfolgung ausgesprochen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass sich die Inquisition umso vehementer gegen „Ketzer“ und Juden wendete. Von einem nachträglichen Freispruch also keine Spur! Die Zahl von neun Millionen Todesopfern, die sehr lange und zum Teil noch heute in mancher Publikation genannt wurde, soll aber überzogen sein. Seriösen Studien zufolge wurden zwischen 1430 und 1782 (dem Jahr, in dem die Schweizerin Anna Göldi das letzte offizielle Opfer des europäischen Hexenwahns wurde) etwa 50.000 bis 60.000 Menschen hingerichtet – allein 25.000 davon auf deutschem Boden.

Die historischen Hintergründe (die Ursula Schumann in einer Szene referiert) und die Foltermethoden wie das Gefaltete Stüblein sind korrekt beschrieben. Als Quelle dienten Vlcek wie so häufig die Werke des österreichischen Ethnologen Prof. Dr. Hans Biedermann (1930–1989, „Handlexikon der Magischen Künste von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert“, „Hexen – auf den Spuren eines Phänomens“, „Materia Prima“).

Besondere Sorgfalt ließ Vlcek bei der Gestaltung des wichtigsten Schauplatzes walten, des Hexenhauses im fiktiven niedersächsischen Ort Velchen. Jede Etage des dreistöckigen Baus (inklusive Keller und diverser Anbauten) wird plastisch und ausführlich beschrieben. Es bedarf keiner großen Fantasie, sich vorzustellen, dass Vlcek, der auch ein hervorragender Grafiker war, eine genaue Skizze des Hauses angefertigt hatte, ehe er sich ans Romanschreiben machte.

Die Verquickung aufregender, gut geschriebener Abenteuer mit historischen Fakten – das ist, was DH so stark und einzigartig werden ließ!