Sprecher-Anekdoten

von am 1. Juli 2016

Kürzlich habe ich bei Sprachaufnahmen in Berlin einen Sprecher wiedergetroffen, mit dem ich seinerzeit für die Folge „Sonderberg & Co. und das psychomagnetische Experiment“ zum ersten Mal zusammengearbeitet habe: Thomas Petruo. Eine sensationelle Stimme, sowohl was den Klang aus auch den schauspielerischen Ausdruck betrifft – was man unter anderem in der großartigen US_Serie „The Wire“ hören kann, wo Thomas der Figur „Bubbles“ die Stimme leiht (es gibt kaum eine Serie, die unfassbar viele Erzählstränge und Charaktere so dicht und so konsistent über mehrere Staffeln entwickelt wie „The Wire“ – unbedingt anschauen!).

Aber zurück zum „Psychomagnetischen Experiment“, in dem Thomas dem zwielichten Helfer von Professor Terrano, Cornelius Voigt, spricht. Dabei erschien mir Thomas zu Anfang, also bei der ersten Kontaktaufnahme zur Terminfindung, sehr zurückhaltend und reserviert. Ich dachte mir nicht so viel dabei. So ist das halt manchmal, die Chemie muss ja nicht immer stimmen. Bei den Aufnahmen sind wir beide dann sehr freundlich miteinander umgegangen, wie es sich gehört – und das Ergebnis konnte sich auch hören lassen … aber leider nur bis zu einem gewissen Grad, wie ich nach Fertigstellung des Hörspiels hören musste:

So war mir Cornelius Voigt in einigen Szenen nicht präsent genug. Zum Beispiel kriecht er gegen Ende der Geschichte aus einem Versteck unter einem Tisch. Dafür hatte ich aber leider nicht die entsprechenden „Kriechlaute“ mit Thomas aufgenommen, sodass Cornelius Voigt plötzlich scheinbar wie aus dem Nichts in der Szene neben Terrano und Sonderberg stand. Blöder Fehler von mir. Also habe ich Thomas noch einmal angerufen, ihm das Problem geschildert und reumütig gefragt, ob er bereit wäre, für eine Nachaufnahme ins Studio zu kommen. Als Honorar konnte ich ihm leider nur eine lächerliche kleine Summe bieten.

Seine Antwort lautete (sinngemäß): „Das ist doch überhaupt kein Problem, ich komme sehr gern. Ich finde es großartig, dass du überhaupt so viel Mühe auf dich nimmst und nachträglich etwas korrigieren möchtest. So etwas ist ja leider überhaupt nicht üblich.“ Das waren nur ein paar kleine Sätze, und es war auch nur eine „kleine“ Nachaufnahme von wenigen Minuten, aber beides ist mir in Erinnerung geblieben. Seitdem freue ich mich jedes Mal, wenn Thomas und ich uns bei einer Aufnahme wiedersehen. Ohne sein Verständnis wären Cornelius Voigts umständliches Kriechen und seine herausgestoßenes „Finger weg!“ am Ende des fünften Falls nicht zu hören … 😉

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Gegen Viehpest und Feuersnoth: Aus dem Grimoire der Coco Zamis (3)

von am 24. Juni 2016

Diesmal stelle ich euch ein Zauberbuch vor, mit dem ihr euer Geld beim Kartenspiel rapide vermehren könnt. Coco Zamis als kluge Hexe würde es aber garantiert nicht anfassen. Noch nicht mal mit der Kneifzange: Das Romanus-Büchlein. Beginnt es doch mit einem „Morgen-Gebet, welches man, wenn man über Land gehet, sprechen muss, so alsdann den Menschen vor allem Unglück bewahret“ und empfiehlt dazu die weihevollen Worte: „Ich heut will ausgehen, Gottes Steeg und Weg will ich gehen, wo Gott auch gegangen ist …“

Die Venediger-Ausgabe des Romanus-Büchleins erschien in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts und gilt als die älteste. Weil das Büchlein so populär war, folgten aber zig weitere Ausgaben bis hin zu vielen handschriftlichen Kopien im Privatbesitz.

Die meisten so genannten Zauberbücher berufen sich in ihren Beschwörungen gar nicht auf den Teufel und Konsorten, sondern erbitten den Beistand Gottes, Jesu oder der Jungfrau Maria. Somit sind auch die meisten Zaubersprüche in diesem Buch, das einer der ältesten Zauberbücher in meiner Bibliothek ist, wenig mehr als mit viel Aberglauben und Brimborium verbrämte Gebete. Für den wahrhaft Gläubigen wie auch wohl für den Klerus stellten sie zu ihrer Zeit dennoch eher ein Ärgernis in ihrer Einfalt dar. Helmut Wimken, der 1980 eine Neuausgabe bei Hoffmann und Campe initiierte, weist in seinem Nachwort dann auch sehr deutlich darauf hin, dass die enthaltenen Sprüche für die nur allzu menschliche Anspruchslosigkeit ihrer Bewahrer und Benutzer stehen.

77 Zaubersprüche, Wundermittel und Gebete enthält das Zauberbuch, darunter auch recht derbe Anweisungen, die sicherlich nicht gerade von frommem Glauben sprechen:
„Binde mit einem rothseidenen Faden das Herz einer Fledermaus an den Arm, womit du auswirfst, so wirst du alles gewinnen!“

Ist diese Anweisung noch einen Versuch wert, so ist von folgendem Löschversuch absolut abzuraten:„Schreibe folgende Buchstaben auf eine jede Seite eines Zinn-Tellers und wirf ihn in das Feuer. Sogleich wird es geduldig auslöschen:

SATOR     APERO

TENET     OPERA

      ROTAS“

In diesem Sinne:
Keep the Horror burning!

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Ein Spaziergang über den Spittelberg mit Christian Schwarz

von am 17. Juni 2016

Wien hat eine große Bedeutung für DORIAN HUNTER. Hier haben die beiden Begründer der Serie, Ernst Vlcek und Kurt Luif, gelebt und gearbeitet. Hier haben sie auch die Familie von Coco Zamis angesiedelt. Dorian Hunter ist ihr in dieser Stadt zum ersten Mal begegnet. Die Handlung kehrt immer wieder nach Wien zurück. Asmodi scheint sich dort besonders gerne aufzuhalten, und Skarabäus Thot so wie alle Schiedsrichter der Schwarzen Familie nach ihm hatten dort sein Büro. Nachdem Dorian Hunter nun eine Weile in der Welt unterwegs war, wurde es Zeit, mal wieder nach Wien zurückzukehren. Christian Schwarz berichtet.

Ein wenig ist das immer wie Weihnachten. Oder das Auspacken eines Geburtstagsgeschenks, wenn die neuen Dorian-Hunter-Expos in meinem Mailpostfach auftauchen. Vor allem, wenn ich wieder mit einem Teilroman dran bin. „Was setzt mir Andrea dieses Mal vor?“, denke ich gespannt, bevor ich die Schleife abmache (sozusagen) und mich auf den Inhalt stürze. Ein wirklich spannender Vorgang, das Auspacken dieser Überraschungs-Geschenke. Denn bis dato habe ich in aller Regel null Ahnung, wie’s weitergeht, was da also auf mich zukommen könnte.

Beim 84er ist’s noch überraschender als sonst. Ein neuer Zyklus beginnt, ich rechne mit dem Schauplatz Japan, China, Russland, der hinteren Mongolei, Vorderindien, was weiß ich. Aber ganz sicher nicht mit Wien. Und dann auch noch mit Coco Zamis in der Hauptrolle! Coco und Wien, eine der weltschönsten Städte, back to the roots, viel besser kann’s ja gar nicht laufen, freue ich mich. Zumal Andreas Expo tatsächlich weit in die Dämonenkiller-Historie zurückgreift und eine faszinierende Figur auferstehen lässt, die allerdings nur einen kurzen Auftritt hatte. Und an die sich deswegen nur noch die eingefleischtesten Fans erinnern werden. Mit Coco und Wien hatte diese Figur damals allerdings rein gar nichts zu tun. Damals. Jetzt schon.

Auch sonst ist das Expo durchaus dazu angetan, mich zu verzücken. Einige Szenen sollen auf dem Spittelberg spielen, auf dem ich mich bei meinen beiden Wien-Besuchen besonders gerne herumgetrieben hatte. Dazu muss man wissen: Der Spittelberg ist eine der liebenswertesten Ecken Wiens, historisch, jede Menge Lokale und Geschäfte. Eines dieser Lokale ist mir besonders in Erinnerung geblieben: die Studentenkneipe „Käuzchen“ mit seinem Sozialbier (Cervicia Socialis), dem Zahnarztstuhl neben der Theke und dem Durchgang zur „Urologischen Station“ (Toilette). Genau hier müssen einige Szenen spielen, das ist mir sofort klar. Und dann gibt es da noch eine andere Location, die allerdings eine zentralere Rolle spielen soll und vorgegeben ist: das kleinste Haus Wiens in der Burggasse 3, das schon seit vielen Jahrzehnten den Uhrmacherbetrieb der Familie Schmollgruber enthält und an dem die Straßenbahnlinie 49 vorbeiführt. Bisher habe ich noch nichts von dem Haus gehört, es ist mir bei beiden Wien-Besuchen entgangen, sozusagen durch die Finger geflutscht. Ich bin sofort fasziniert von dem klassizistischen „Käfig“, nicht mehr als ein schmaler Anbau, in dem es gerademal 14 Quadratmeter Platz gibt. Wie müssen die darin geforderten Kampfszenen aussehen? Wie stark dürfen/sollen die Ähnlichkeiten mit dem Original sein? Sofort beginnen die kleinen grauen Zellen zu arbeiten, die ganze Story ist eine echte Herausforderung.

Denn es tauchen gleich eine ganze Menge mehr Fragen auf. Wo befindet sich eigentlich das Schiedsrichterbüro der Schwarzen Familie? Wurde das schon mal ausgesagt? Nein, niemand weiß was, also habe ich freie Hand. Ich will’s genau wissen und suche mir einen geeigneten Standort. Vielleicht Räumlichkeiten in einem der zahlreichen Geschäftshäuser in der Innenstadt? Eher nicht, weil ja eine Wohnung direkt ans Büro anschließt, das kann ich mir in einem Geschäftshaus eher weniger vorstellen. Ein kleines, etwas abseits gelegenes Einfamilienhäuschen, in dem Coco ihr Schiedsrichteramt diskret ausüben kann, wäre mir also ganz Recht. Gibt’s das in den inneren Wiener Bezirken? Nein, eher nicht, ich finde nichts Geeignetes. Also raus in die äußeren Bezirke. Schließlich bleibe ich an einem belebten Platz im 19. Wiener Bezirk Döbling hängen. Dort stehen Häuser, die mir wie geschaffen erscheinen, also ist das Schiedsrichterbüro ab sofort dort angesiedelt. Bis auf Weiteres. Einem späteren Umzug steht schließlich nichts im Weg. Und, ach ja, wie sieht das Büro wohl von innen aus? Wie werden Dämonen, die hier vorsprechen, standesgemäß empfangen? Nachlesbar in DORIAN HUNTER 84: „Die Uhrmacherin“.

Viel Spaß beim Lesen also, es lohnt sich. 🙂 Und der neue Zyklus wird Hammer, das wird jetzt schon deutlich, nicht zuletzt wegen der neuen/alten Gegenspielerin, die noch für verblüffende Wendungen sorgen wird, wie ich Andrea kenne. Wo die Reise aber wirklich hingeht, weiß ich noch nicht. Wie immer eben. Ich lasse mich aber gerne überraschen. Das nächste Expo kommt bestimmt.

Christian Schwarz

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»Das kann einen echt wütend machen!«

von am 10. Juni 2016

Die neue Folge »Hochzeitsnacht« ist gerade erschienen – aber wir wollen heute trotzdem einen Blick in die jüngere Vergangenheit der Serie werfen: Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass Coco Zamis in der Hörspiel-Doppelfolge 29.1. (»Hexensabbat – Lehrjahre«) und 29.2 (»Hexensabbat – Reifeprüfung«) nach Schloss Behemoth entführt wurde – an den Ort, an dem sie einen Großteil ihrer Jugend verbracht hat. In den Erinnerungen, die sie durchlebt, wird die junge Coco Zamis von Lotta Doll gesprochen. Ich habe Lotta kürzlich im Studio wiedergesehen … und natürlich gleich die Gelegenheit genutzt, sie zu ihrem Auftritt bei DORIAN HUNTER zu befragen.

Hallo Lotta – wenn du jetzt mit etwas Abstand noch einmal in deinen Auftritt als junge Hexe Coco Zamis hineinhörst … Was empfindest du da?

Ich bin ehrlich gesagt total zufrieden mit den beiden Hörspielen 29.1 und 29.2 – und das, wo ich sie doch erst ein wenig später zu hören bekam, da der Verlag versäumt hatte, mir die Belege zukommen zu lassen. 😉

Hm, vielleicht warst du ja bloß zu ungeduldig …?

Ja, das stimmt, das war ich wirklich. Ich habe mir die beiden Teile dann sogar bei Zaubermond als Download gekauft. Wie ein normaler Hörer. Echt. Weil ich schon beim Lesen der Skripte – also schon vor den Aufnahmen – ziemlich beeindruckt war von der Geschichte und unbedingt wissen wollte, wie sich das alles später »in echt« anhört …

Bist du denn mit deinem Auftritt zufrieden?

Ja, sehr! Ich habe mir das Hörspiel direkt zweimal hintereinander angehört. 🙂 Ich bin immer wieder erstaunt, wie jung meine Stimme klingt – und wie schön am Ende alle Stimmen zusammenpassen, mit der Atmo, den Hintergrundgeräuschen und dem Sound. Da ist es wirklich ganz einfach, in diese Welt einzutauchen. Ich habe Cocos rebellische Seite sehr gemocht, da habe ich direkt mich selbst wiedererkannt. 🙂

Wie viel Kreativität steckt denn im Sprechen vor dem Mikrofon – und wie viel handwerkliche Arbeit?

Na ja, beim Hörspiel ist es die Fantasie, die angeregt wird, was ich persönlich unwahrscheinlich schön finde. Alle Bilder und auch Coco selbst als Charakter sind in meinem Kopf entstanden und haben sich wie in einem Film zusammengefunden …

Film passt ja – wo du schon eine Menge Synchronrollen gesprochen hast.

Es macht mir eben sehr viel Freude, meine Stimme einem Charakter zu leihen. Wobei es beim Synchron natürlich das Bild gibt, also die visuelle Vorstellung – was es in gewisser Weise einfacher macht, eine Figur zum Leben zu erwecken. Beim Schauspiel, wo meine Leidenschaft beim Film liegt, ist es wieder ganz was anderes, da fühle ich mich mit meinem Charakter verbunden und bereite mich mehrere Wochen vor dem Dreh schon auf eine Rolle vor. Ich liebe es, vor der Kamera zu stehen … und vor dem Mikrofon natürlich auch. Allein mit der Stimme eine Figur lebendig werden zu lassen – das ist etwas Einzigartiges!

Und das wahrscheinlich umso mehr, wenn man sich in der Rolle ein Stück weit selber wiederfindet …

Ja, wie gesagt: Besonders toll gefällt mir an Coco, dass sie ihren eigenen Weg geht – und das, obwohl in der Familie niemand zu ihr hält. Im Gegenteil, immer wenn es wirklich drauf ankommt, lassen ihre Eltern und Geschwister sie im Stich. Das kann einen echt wütend machen!

Aber Coco lässt sich das nicht gefallen …

So würde doch jeder von uns gern sein, oder? So stark und gleichzeitig so mitfühlend und … nett! Und trotzdem eben selbstbewusst. Auf ihre Weise. Das ist ja das Tolle an meiner Rolle: Ich darf Coco in einem Alter sprechen, in dem sie eigentlich noch gar nichts über sich weiß und ihre wahren Stärken höchstens ahnt. Mit der Liebe zu Robert Schwinger hat sie sich ja schon ein Stück weit gefunden …

… und wieder verloren …

Nein, sie hat Robert verloren, nicht sich selbst! Dafür, dass er am Ende sterben musste, konnte sie ja nichts. Schon wieder war ihre Familie daran schuld! Ohne die wäre sie glaub ich besser dran …

Der Grundkonflikt des HUNTER-Spin-Offs DAS HAUS ZAMIS, in dem Cocos Jugend erzählt wird …

Kann ich mir vorstellen. Das ist ja das Schlimmste für sie: Dass sie in diesem Umfeld gefangen ist und da nicht rauskommt. Da bin ich doch froh, dass ich nur vorübergehend in ihre Haut schlüpfen musste. Allein das war ja schon total intensiv – auch wegen der Regie, die mich ganz schön ins Schwitzen gebracht hat … Sieht man das eigentlich auf den Fotos …?

Deshalb haben wir sie nur schwarz-weiß veröffentlicht. 😉

Na, danke auch! … Mir hat es auf jeden Fall total Spaß gemacht, und ich bin sehr gespannt darauf, wie es mit Coco weitergeht – in der Gegenwart wie auch in ihrer Vergangenheit.

Wir werden sehen …

Und hier noch die versprochenen Rezensionslinks:

»Ein weiterer Höhepunkt der Serie«, schreibt BuchundTon.de
»Hochzeitsnacht strotzt vor Atmosphäre«, sagt FFM-Rock

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Über Lieblingscharaktere

von am 1. Juni 2016

Seit SONDERBERG  & CO. im Jahr 2011 gestartet ist, habe ich jede Menge Reaktionen auf die Serie bekommen – sei es in Rezensionen, in Briefen oder E-Mails, aber auch in persönlichen Gesprächen mit Hörern oder Sprechern, die an der Serie mitwirken. Erstaunlicherweise hat dabei fast jeder, der die Serie kennt und schätzt, einen Lieblingscharakter. Und noch »erstaunlichererweise« – ist es immer derselbe:

Gregor.

Ja, genau: Sonderbergs lebenshungriger, immer ein wenig hektisch und verpeilt wirkender Neffe, diese Karikatur eines Lebemanns, dessen ehrliches Bemühen, Dr. Sonderberg bei der Lösung eines Falles zu unterstützen, in der Regel fruchtlos, aber dafür umso seltener harmlos bleibt … und der dabei jede Menge persönliche Lebenspläne quasi im Handumdrehen neu ent- und wieder verwirft …

Was zum Geier macht diese sprunghafte Mischung aus Tunichtgut und Hans-guck-in-die-Luft in den Augen und Ohren der Hörer so sympathisch?

Die naheliegende – und unzweifelhaft absolut richtige – Antwort darauf lautet: Es ist Andreas Fröhlich, der Gregor seine Stimme leiht und damit nicht zum ersten Mal beweist, dass er so viel mehr kann, denn als „Rechercheur und Archivar“ Bob Andrews den introvertierten Stichwortgeber für Justus Jonas zu geben. Ich hatte mir von Beginn an gewünscht, dass er die Rolle ausfüllen möge … und habe innerlich gejubelt, als er zugesagt hat! Tatsächlich spielt Andreas Gregor genau so, wie man ihn spielen muss – und das, ohne dass die Regie in einem nennenswerten Maße eingreifen müsste.

Allerdings glaube ich auch, dass es auf die Frage, warum die Figur Gregor etwas in uns anrührt, noch eine zweite Antwort gibt. Ich glaube, dass viele von uns in Gregor ein Teil von uns selbst erkennen. Oder vielleicht doch lieber – ja, gönnen wir uns diese scheinheilige Ausflucht! – einen Teil unserer erlebten und erfahrenen Umgebung. Was mich selbst betrifft, so gilt das übrigens für beinahe jede Hauptfigur der Serie. Logisch. Ich habe sie ja erfunden.

Zum Beispiel habe ich mich, bevor ich mich dem Entwickeln und Schreiben von Geschichten widmete, Mathematik studiert. Ich glaube nicht, dass ich ein besonders guter Student war. Auf jeden Fall war ich faul, und die ehrliche Faszination, die ich bis heute für Zahlen, Formeln und logische Konstrukte empfinde, wurde leider immer wieder torpediert von dem Desinteresse, dass ich harter Arbeit entgegenbrachte, wie sie im Studium gemeinhin das Bewältigen der alltäglichen Übungsaufgaben erfordert.

Am Ende habe ich den Abschluss zwar geschafft  (und hoffe bis heute, dass mich niemals jemand fragen möge, wie …). Dennoch bin ich überzeugt davon, dass Dr. Sonderberg der bessere Mathematiker von uns beiden ist. Selbstverständlich ist er das! Er ist sozusagen der Logiker, der ich gerne wäre. Und außerdem ist er versponnen, was ich auch gern wäre, mir aber nur selten leisten kann.

Ich bin wahrscheinlich eher schusselig. Wie Inspektor van den Beeck (dem ich trotzdem nicht eine gewisse Bauernschläue absprechen möchte, die ich auch gerne hätte). Auf jeden Fall bin ich nicht so energisch und ordnungsliebend wie Minnie Cogner. Und vermutlich auch nicht so herzlich, leider. (Wer für Minnies Charakter Patin gestanden hat, habe ich ja in einem der frühen Beiträge erzählt.)

Ganz, ganz sicher aber – und damit schlage ich den Bogen zurück – steckt im mir ein großer Teil Gregor. Und so war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis er in der Serie auftauchte. Sie hat förmlich nach ihm geschrien! Da gab es diese Szene im zweiten Fall. Die Älteren unter uns erinnern sich: »Der Tote im Rhein«. Die Geschichte, die ursprünglich als Startschuss der Serie eingeplant war (deswegen hat die Detektei zu Anfang dieser Folge auch ihr Türschild erhalten). Erst ein paar Wochen später, als ich am »Mord auf Schloss Jägerhof« schrieb, erschien es mir diese Folge plötzlich als der bessere erste Fall – weil er sich erst einmal sehr auf die Figuren Sonderberg und Minnie konzentrierte …

Aber zurück zu Gregor. Er platzte also buchstäblich herein. Durch die Tür von Sonderbergs Arbeitszimmer. Mit der Idee, Fotograf zu werden … und einem winzig kleinen Liquiditätsproblem – von dem wir inzwischen bekanntlich wissen, dass es ihn chronisch begleitet. Tja, und da war er nun – und ich hatte keine Ahnung, was in Zukunft aus dieser Figur werden würde. Was aber nicht daran lag, dass sie mir fremd war … sondern dass mir von der ersten Sekunde, vom ersten Wort, das Gregor sagte, an klar war, dass er komplett frei war. Ein Mensch ohne Verantwortung, frei von der Last der Vergangenheit, frei außerdem von (zumindest wesentlicher) Sach- oder Fachkenntnis. Ein Mensch, der einfach das tat, was ihm gerade in den Sinn kam. Weil er es für richtig hielt. Ein Mensch, der ausschließlich fühlte. Und niemals dachte. Obwohl er zweifellos oft glaubte zu denken. Aber echtes Denken ist Gregor nicht möglich. Er hat keinen Verstand. Er hat nur seinen Bauch. Dabei ist er aber nicht unbedingt ein fleischgewordenes Freudsches Es, sondern vielmehr ein hedonistischer Traumtänzer. Ein Mensch, der von dem Gedanken beseelt ist, ein gutes und richtiges Leben zu führen … ohne zu merken, dass das richtige Leben gerade an ihm vorbeiläuft.

Oder ist es in Wirklichkeit vielleicht genau umgekehrt? Läuft das Leben an uns vorbei? An uns, die wir über Gregor lachen und dabei die täglichen und alltäglichen Ketten übersehen, in die wir selbst geschlagen sind … die wir Hypotheken abbezahlen, weil wir uns irgendwann mal dazu verpflichtet haben, die wir eine Geht-so-Ehe führen und vielleicht einen Beruf ausüben, den wir mit Glück ganz okay finden, bei dem uns aber dennoch der Gedanke mit Schrecken erfüllt, dass er uns vielleicht ein ganzes Leben begleiten wird … weil wir uns irgendwann einmal dazu verpflichtet haben …?

Gregor hat sich zu nichts verpflichtet. Niemals. Außerdem entscheidet er nicht. Und wenn doch, dann entscheidet er sich eben hinterher wieder um. Ganz wie es passt. Vielleicht sind ja wir die Dummen und Gregor der Schlaue?

Ich glaube, dass es nicht klug ist, diese Frage vorschnell zu beantworten – weder in die eine, noch in die andere Richtung. Es hat auch seine Vorteile, die linke Gehirnhälfte zu benutzen und die wichtigen Entscheidungen des Lebens nicht allein der rechten zu überlassen. Dabei hätte Letzteres tatsächlich einen vollkommen offensichtlichen Vorteil. Wir würden niemals darüber nachdenken, was wir falsch gemacht haben. Sondern einfach fühlen, was wir als nächstes tun sollten.

Wie Gregor.

Was für ein schönes Leben …!

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Wie denken Dorian Hunter und Donald Chapman über ein Zaubermond-Abo?

von am 30. Mai 2016

Nur noch wenige Tage bis zum Erscheinen von Folge 30, »Hochzeitsnacht«. Aus diesem Grund haben wir in den geheimen Archiven des britischen Secret Service gestöbert … Dass Dorian Hunter hin und wieder einem Bourbon nicht abgeneigt ist, wussten wir ja schon lange – aber was hat es mit den neutralen Verpackungen auf sich, die der Puppenmann Donald Chapman heimlich stapelt …?

Hier erfahrt ihr die schockierende Wahrheit:

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Leseprobe aus „Der Sturm der schwarzen Seelen“

von am 27. Mai 2016

DAS HAUS ZAMIS meets Shakespeare: Ein Unwetter zwingt Coco Zamis und ihre Vampirfreundin Rebecca, in einer Geisterstadt mitten im Nirgendwo der USA Rast zu machen. Plötzlich taucht eine Frau namens Miranda auf, die behauptet, in der Geisterstadt zu wohnen. An ihrer Seite wacht ein riesiger Wolf, den sie Caliban nennt …
Gleichzeitig betritt in Wien eine junge Frau das Café Zamis und behauptet, die Schwester ihres verschollenen Bruders Dorian Hunter zu sein. Sie ist auf der Suche nach einer Coco Zamis … Dies ist eine der Schlüsselszenen in dem zweiten Teilband, den der Perry-Rhodan-Autor Michael Marcus Thurner verfasst hat. Lest jetzt schon einen exklusiven Auszug daraus:

Vindobene reinigte den Tresen. Selten zuvor hatte er etwas derart Widerwärtiges erledigen müssen. Diese Arbeiten waren bestenfalls mit all jenen vergleichbar, die er im Gefolge der Pest und der Türkenbelagerung erledigt hatte. Und vielleicht mit seinen Jahren als Beamter im Sozialministerium, als er sich in den Kellern des Gebäudes verirrte und ihn drei Monate lang niemand vermisste. Nur dank der schlechten Gedanken, auf denen das Fundament des Gebäudes ruhte, hatte er sich ausreichend ernähren können. Irgendwann einmal hatte ihn ein Lehrling in den Katakomben entdeckt. Einer, der irrtümlich gearbeitet hatte …

Er spuckte auf das narbige Holz des Tresens und wischte darüber, bevor sich der giftige Speichel durchätzen konnte.
Karl saß wie meist in seinem bequemen Stuhl des Zahlkellners. Die Callas hängte ihre Nase lustlos in ein fast leeres Bierglas. Neben ihr ein Gast, der in letzter Zeit öfter mal aufgetaucht war. Er nannte sich Schlurf und gehörte zur raren Gattung der Speibteufel. Er und seine Verwandten waren in den Reihen der Dämonenfamilien nicht sonderlich gern gesehen und scheuten meist die Öffentlichkeit. Schlurf jedoch besaß ein großes Mitteilungsbedürfnis. Er nutzte die Neutralität im Café Zamis und unterhielt sich mit all jenen, die ihm sonst großräumig auswichen.
Die Tür öffnete sich. Geräusche schwappten ins Innere. Kurze unterbrochene Sätze, Kindergeschrei, der Singsang eines untalentierten Straßensängers. Draußen auf der Mariahilfer Straße herrschte das übliche hektische Treiben, das die Menschen gerne an den Tag legten.

Ein junges Mädchen trat ein. Die Holzbohlen knarrten unter ihren Füßen. Sie hatte blonde Haare und ein hübsches Gesicht.

Das Mädchen sah sich rasch um und kam dann festen Schritts auf ihn zu.

»Bist du der Wirt?«, fragte sie geradeheraus.

»Wäre ich es, hätte ich mich schon längst umgebracht angesichts des Geschäftsganges.«

»Das ist keine befriedigende Antwort.«

Sie beugte sich zu ihm vor. Vindobene spürte einen Hauch von Kraft. Eine Gabe, deren Zusammensetzung er nicht einzuordnen vermochte und die in diesem geschützten Raum auch nicht funktionieren durfte.

»Du bist mir herzlich unsympathisch, kleiner Mann. Nichts hier drinnen mag ich, offen gestanden.«

»Also dich selbst auch nicht? Du befindest dich derzeit ebenfalls im Café Zamis.« Vindobene grinste die junge Frau an.

»Dein Humor ist geistlos und impertinent. Erinnere mich beizeiten daran, dass ich dich dafür maßregle.«

Er betrachtete sie von oben bis unten. Sie trug ein gelbes Minikleid, wie man es heute nicht mehr anziehen würde. Die ledernen Schuhe wirkten altmodisch, wie allem, das sie an sich trug, das Odeur einer längst vergangenen Epoche anhaftete.

Vindobene zuckte mit den Achseln. »Bedroh mich, so viel zu willst. Ich wohne hier, ich lebe hier. Und im Café Zamis kannst du mir nichts anhaben. Außerhalb wirst du mich selten einmal antreffen. Und sollten wir uns doch einmal begegnen, dann sei gewiss, dass ich mich zu wehren weiß.«

»Nicht gegen mich. – Aber lassen wir diese Spielchen, kleiner Mann. Wo finde ich Coco Zamis?«

»Wer will das wissen? Glaubst du, ich gebe jeder dahergelaufenen Dirne Auskunft darüber, wo sich die Chefin aufhält?«

Sie zuckte zusammen. Diesmal hatte er sie wirklich getroffen. Gut so. Er mochte sie nicht.

Nun, er mochte eigentlich niemanden auf dieser Welt. Einzig Coco war ihm nicht ganz unsympathisch.

»Ich werde mich an deine Worte erinnern, kleiner Mann. Ich vergesse nie eine Beleidigung oder Schmähung.«

»Ich vergesse nie etwas!«, äffte Vindobene ihre Stimme nach und warf sich in die Brust. »Ich bin ein großer, großartiger Dämon, und du musst gefälligst Angst vor mir haben.« Er wurde gleich wieder leise. Schließlich wollte er die wenigen verbliebenen Stammgäste nicht aufwecken. Dies hätte mehr Arbeit und noch mehr Plackerei bedeutet.

Er beugte sich wieder zu dem Mädchen vor und sagte: »Ihr nehmt euch allesamt so ungeheuer wichtig. Ihr glaubt, euch alles herausnehmen zu können, nur, weil ich keinen Namen und keinen Rang in der Schwarzen Familie habe. Aber ich bin Vindobene. Ich bin diese Stadt. Ihr Sud. Die Bösartigkeit ihrer Einwohner. All das Schlechte, das in den Wienern steckt, nährt mich und lässt mich wachsen. Sollten wir uns vor der Türe des Café Zamis tatsächlich einmal begegnen, dann triffst du einen Gegner, der die Kraft aus den Köpfen und den Herzen von zwei Millionen Menschen bezieht.«

Sie schwieg eine Weile, musterte ihn nachdenklich und meinte dann: »Es ist wirklich schade, dass ich mich derzeit nicht auf dich konzentrieren kann. Wir beide hätten viel Spaß miteinander. Naja … Ich hätte Spaß, du nicht.«

»Jetzt sag endlich, was du von Coco möchtest. Und dann verschwinde! Wir sind ein ehrenwertes Etablissement!«

»Sag Coco, sie kann sich bei mir melden, wenn sie das Bedürfnis dazu hat. Und gib ihr dies hier.«

Sie kramte umständlich in ihrer krokodilledernen Handtasche umher und legte dann ein silbernes Etwas ab, das an einer Kette hing.

»Eine Uhr?« Vindobene griff nach dem fein gearbeiteten und ziselierten Ei, betastete es vorsichtig und öffnete es schließlich.

»Eine Uhr. Eine Savonette.«

»Sie ist wunderschön«, sagte Vindobene ehrfurchtsvoll.

»Ja. Sie gehört Coco.«

Das Uhrwerk hatte mehr Zeiger als gewöhnlich. Sie stellten nicht nur die Sekunden, Minuten und Stunden dar, sondern zeigten auch Tage. Monate. Jahre.

Die junge Frau nickte zum Abschied und klapperte auf den hochhackigen Schuhen davon. Bevor sie den Ausgang erreichte, drehte sie sich nochmals um. »Coco kennt mich nicht. Aber es sollte reichen, wenn du ihr sagst, dass ich Dorian Hunters Schwester bin.«

In diesem Sinne: Freut euch schon auf den 3. Juni., wenn „Der Sturm der schwarzen Seelen“ (DAS HAUS ZAMIS Band 46) erscheint!

Keep the Horror burning! 

 

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Leseprobe: Die Uhrmacherin

von am 13. Mai 2016

Am 3.6.16 erscheint DORIAN HUNTER 84: „Die Uhrmacherin“ aus der Feder von Uwe Voehl und Christian Schwarz. In diesem Band wird nicht nur Coco mal wieder in den Mittelpunkt der Handlung gerückt, sondern es taucht außerdem eine Figur wieder auf, von der ihr sehr lange nichts mehr gehört habt. Mal sehen, wie schnell ihr erratet, um wen es sich handelt.

Eine Mordserie erschüttert die Dämonen in Wien, und das ganz ohne dass Dorian Hunter in der Gegend wäre 😉 Schiedsrichterin Coco Zamis findet sich plötzlich in der Rolle der Mordermittlerin wieder, obwohl ihr eigentlich insgeheim jeder tote Dämon nur recht ist. Aber es gilt den Schein zu wahren, wenn sie ihren Posten weiter halten will. Also macht sie sich daran, nach Hinweisen zu suchen und Zeugen zu befragen.

Ich hatte schon seit einer Weile gewusst, dass ich in diesem Band eine neue bzw eine alte Figur in einem neuen Gewand einführen wollte. Aber die Idee, so eine Art Dämonenkrimi daraus zu machen, entstand recht spontan, während ich an den Exposés schrieb. Ermittlerin Coco ist dabei die ganze Zeit hin und her gerissen zwischen der Tatsache, dass sie eigentlich immer noch gegen die Schwarze Familie kämpft, aber gleichzeitig derzeit „under cover“ unterwegs ist und deshalb so tun muss, als würde es sie tatsächlich interessieren, dass Dämonen sterben.

Doch gerade als der Fall anfängt, ihr über den Kopf zu wachsen, wird er zu etwas Persönlichem. Um ihrer selbst willen muss sie den Mörder endlich schnappen.

Der erste Teilroman des Bandes heißt „Der unsichtbare Tod“ und stammt aus der Feder von Uwe Voehl. Er beginnt so:

„Hier also ist Ihre Schwester gestorben?“, fragte ich und seufzte innerlich. Meine Rolle als Schiedsrichterin erforderte manchmal auch unangenehme Hausbesuche. Und dieser war einer von der äußerst unangenehmen Art. Stefan von Hirdner war mir sofort unsympathisch. Seit dem Tode seines Vaters war er als ältester Sohn in die Fußstapfen des Familienoberhauptes getreten. Eine Rolle, die er durchaus ausfüllte, doch wie alle Nachtmahre war er als Persönlichkeit eher unscheinbar. Zumindest für Außenstehende. Als Mann ohne Eigenschaften versuchte er fehlende Präsenz durch Härte und Grausamkeit wettzumachen.
„Larissa ist nicht einfach gestorben“, antwortete er barsch. „Sie wurde ermordet. Und zwar auf heimtückischste Art und Weise! Vor unseren Augen“
Erregt, aber vielleicht auch nur, um Dynamik zu demonstrieren, ging er in der Bibliothek auf und ab, wobei seine Schritte auf dem abgenutzten Parkett kaum zu hören waren, während sie unter mir bei jeder Bewegung knarrten. Ich behielt ihn im Auge, schon allein, um herauszufinden, ob er log. Jede einzelne Regung mochte mir einen Hinweis geben. Ein falsches Lächeln, ein zuckendes Lid, eine vielleicht ein wenig zu hoch gezogene Braue. Dabei fiel es selbst mir schwer, den Blick auf ihn zu fokussieren. Es war, als ob seine Gestalt an den Rändern zerfaserte, sich auflöste.
Angesichts meiner Musterung reagierte er leicht nervös. Er trat neben einen riesigen hölzernen Standglobus, klappte ihn auf und schüttete sich eine milchige Flüssigkeit in ein Martiniglas. Mit einer Pipette träufelte er ein paar klare Tropfen hinzu, sodass der ganze Drink zu schäumen begann und Nebelwolken ausstieß.
„Möchten Sie auch einen Avalon?“
„Nein danke, ich behalte lieber einen klaren Kopf“, erwiderte ich.
Stefan von Hirdner trank den Avalon in einem Zug. Seine Hand zitterte nur leicht, vielleicht auch vor Erregung. Denn im nächsten Moment knallte er das Glas auf die Tischplatte und sagte: „Sie müssen verstehen, dass ich etwas aufgelöst bin. So ein hinterlistiger Mord zehrt auch an meinen Nerven. Immerhin könnte jeder von uns der Nächste sein. Und als Familienoberhaupt obliegt es meiner Verantwortung, das zu verhindern.“
„Natürlich, ich verstehe Ihre Erregung“, heuchelte ich.
Das waren die Momente, in denen ich meine Rolle als Schiedsrichterin verfluchte. Jeder Dämonendepp erwartete, von mir ernst genommen zu werden, erwartete, dass ich ihm zuhörte und Verständnis zeigte. Wobei ich Stefan von Hirdner ausdrücklich nicht als Depp bezeichnete. Im Gegenteil, er kam mir durchaus seriös vor und schien zu wissen, wie er sich am besten präsentierte. Dennoch war es mir arschegal, wer seine Schwester auf dem Gewissen hatte. Ich hatte ganz andere Sorgen.
„Hat sich denn bei Ihnen noch niemand für den feigen Mord bekannt?“, fragte von Hirdner nun aufgebracht.
Ich schüttelte den Kopf. „Bisher nicht. Glauben Sie denn, es steckt mehr dahinter?“
„Natürlich! Meine Schwester ist ermordet worden, definitiv! Schließlich kippt unsereiner nicht so einfach um wie ein Mensch. Sie hat sich ans Herz gegriffen und ist umgefallen. Aber ich muss Ihnen wohl nicht begreiflich machen, dass es kein Herzschlag war, oder?“
„Nein, und Altersschwäche sicherlich auch nicht“, versuchte ich einen Scherz. Wie erwartet verzog von Hirdner keine Miene.
Ich überlegte, wie ich mit dem Fall am besten umgehen sollte. Je schneller ich ihn löste, desto schneller hatte ich ihn vom Hals. Aber vielleicht löste er sich ja von selbst. Wo kein Täter, gab es auch keine Tat. „Wir sollten abwarten, ob noch eine offizielle Kampfansage ausgesprochen wird“, schlug ich daher vor. „Bis dahin sind mir sowieso die Hände gebunden.“
Aber so leicht kam ich nicht davon. Von Hirdner stellte sich breitbeinig vor mich hin, ballte die Fäuste und funkelte mich wütend an. Für einen Nachtmahr wirkte er in diesem Augenblick durchaus imposant. „Ich werde nicht zulassen, dass weitere Familienmitglieder gemeuchelt werden. Glauben Sie, ich bin so dumm und lege die Hände in den Schoß, bis vielleicht der Nächste von uns stirbt? Falls Sie keine Ermittlungen anstellen, werde ich in die Offensive gehen. Und ich habe auch schon einige Personen in Verdacht …“
„Ich warne Sie! Stellen Sie sich nicht gegen das Gesetz! Sie kennen die Regeln!“
Natürlich waren die Regeln nicht immer fair ausgelegt – das hatten sie mit den Gesetzen der Menschen gemein. Meistens gewann nicht der, der recht hatte, sondern der Stärkere. So lag der Vorteil auch bei Sippenkämpfen meistens bei denen, die anfingen. Der Herausforderer musste sich nicht sofort zu erkennen geben. Es konnte Tage oder sogar Wochen dauern, ehe eine Kampfansage erfolgte. Und bis dahin tappte der Angegriffene im Dunkeln und war weiteren Attacken mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt.
„Dann verlange ich, dass Sie sich ernsthaft mit dem feigen Mord beschäftigen!“
Das reichte! Nun war ich es, die sich wütend vor ihm aufbaute: „Wollen Sie der Schiedsrichterin der Schwarzen Familie etwa mangelnde Ernsthaftigkeit unterstellen?“
Von Hirdner ruderte sofort zurück. Seine eben noch spürbare Präsenz verblasste augenblicklich wieder. „Bitte entschuldigen Sie vielmals, aber Sie müssen verstehen, dass ich in größter Sorge bin …“
„Natürlich, und falls Ihre Schwester wirklich ermordet wurde, dann handelt es sich um einen äußerst hinterhältigen Angriff, da gebe ich Ihnen recht. Daher werde ich heute noch verkünden, dass sich der Herausforderer binnen vierundzwanzig Stunden bei mir zu melden hat. Und jetzt bitte ich Sie, mich zur Tür zu geleiten, ich habe noch einige andere wichtige Termine wahrzunehmen.“
Je mehr ich darüber nachdachte, desto verzwickter war der Fall. Sollte von Hirdners Schwester wirklich eines unnatürlichen Todes gestorben sein, so mochte der Gegner auch mir gefährlich werden. Jedenfalls verfügte er über Mittel, die durchaus eindrucksvoll waren. Während von Hirdner voranging, um mich zur Haustür zu bringen, kam mir plötzlich ein Gedanke. „Wissen Sie was? Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir den Ort, an dem Ihre Schwester gestorben ist, auch gleich mal ansehen.“
„Sie meinen den Tatort?“
Ich verdrehte insgeheim die Augen. Von Hirdner machte es einem mit seiner Penetranz nicht eben leicht.
„Meinetwegen auch den Tatort“, sagte ich.

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„… als ob James Bond nach 24 Filmen plötzlich schwul würde.“ Ein Nachtrag zum Tod Malte S. Sembtens (Rüdiger Silber)

von am 5. Mai 2016

Der am 22. April 2016 verstorbene ZAUBERMOND-Autor Malte S. Sembten, der unter dem Pseudonym Rüdiger Silber für DORIAN HUNTER und DAS HAUS ZAMIS schrieb, lotete meine Exposés bis zum Grund aus. Mit Rüdiger Silber zu arbeiten, war eine Sisyphos-Arbeit. Gewöhnlich stellte er jeden einzelnen Punkt infrage, machte zahlreiche Änderungsvorschläge, auch noch während des Schreibens, und hielt mich mit zahlreichen Mails stets ziemlich auf Trab. Dennoch kam am Ende meistens ein besserer Roman dabei heraus, als es das Expo hergab. Und so sollte es in der Regel ja auch sein …

So hatte ich bereits für den Dakota-Zyklus (DAS HAUS ZAMIS 42-44) über den haitianischen Voodoo recherchiert, vor allem William Seabrook, der ja in seinem Buch auch eine Körpertausch-Szene schildert, die ich entsprechend in meinen Roman eingebaut hatte.
Nun aber spielte Maltes Roman in New Orleans, und er war gar nicht mehr einverstanden mit meiner Namensgebung. Der folgende Auszug aus einer seiner Mails ist typisch für unsere Dispute: „Ich habe und kenne die deutsche Ausgabe des Seabrook-Buches (‚Geheimnisvolles Haiti, Rätsel und Symbolik des Wodu-Kultes’). Diese ‚Mama …’- & ‚Papa …’-Namen sind typisch für den auf Haiti praktizierten Voodoo-Kult. Der aber unterscheidet sich in vielen Aspekten von dem New Orleanser Voodoo, wie ihn Robert Tallant (Zeitgenosse von Seabrook) in seinem maßgeblichen Buch ‚Voodoo in New Orleans’ schildert. Auch dieses Buch besitze ich und habe es gelesen. Daher sind meine Namen authentisch für den New Orleanser Voodoo (Marie Laveau hieß ja auch Marie Laveau, nicht Mama Mumba oder so ähnlich, und galt als eine ‚Voodoo-Queen’) – und sie wirken weniger klischeehaft. Daran möchte ich gerne festhalten.“
Nun, wir haben uns darauf geeinigt, wenigstens bei den beiden Voodoo-Hauptpersonen die ursprünglich im Exposé festgelegten Namen beizubehalten, weil ein Titel wie „Lady Mamba“ einfach viel besser klingt als beispielsweise „Emma Watson“.
Eine andere Auseinandersetzung war gravierender, aber auch hier gab es keinen Verlierer, so hoffe ich: Laut Malte sollte Coco Zamis gleich mehrmals von der schönen Vampirin Classinia verführt werden.
Wir haben lange darum gerungen, wie glaubwürdig es für eine Serienfigur wie Coco ist, plötzlich sexuelle Gefühle für eine Frau zu entwickeln. Bisher war dies so nicht vorgesehen ­­– in dem Zusammenhang fiel dann auch mein Satz: „Ganz ehrlich: wenn ich das so lese, passen die lesbischen Szenen einfach nicht zu Coco. Sie hat sich einmal hinreißen lassen, das ist okay. Aber ansonsten würden wir da eine völlig neue Serienfigur erschaffen. So als ob James Bond nach 24 Filmen plötzlich schwul würde!“
Letztlich, so empfinde ich es, ist es auch immer eine männliche Sichtweise, Frauen mit Frauen vereinigen zu wollen. Kaum einem männlichen Serienautor fiele es ein, auf ähnliche Weise die aufflammende Liebe zwischen zwei Männern zu schildern.
Wir einigten uns darauf, dass Classinia Coco einmal verführen darf. Eine weitere Szene wurde gestrichen.
Dennoch verstand es Malte S. Sembten auch als Rüdiger Silber wie kein Zweiter, diese Szenen stets so subtil zu schreiben, dass sie nie vordergründig voyeuristisch wirkten. Um dies zu untermauern, sei ein Ausschnitt der gestrichenen Szene an dieser Stelle nachgetragen. Zum einen als Reminiszenz an einen hervorragenden Autor, zum anderen auch, weil „Lady Mamba“ Malte. S. Sembtens letztes Werk ist, das er vollendet hat.

Also: Vorhang auf!

Ich fand einen ausreichend breiten Stellplatz für den Lamborghini. Der Motor verstummte. Die plötzliche Stille kam mir ohrenbetäubend vor.
Ich spürte noch immer ein Kribbeln am ganzen Körper. Der Trip mit dem Aventador hatte wie ein Testosteronschub gewirkt. Ich blickte zu Classinia hinüber. Auch ihr Gesicht war gerötet, und nicht nur vom Blut, das ihr noch immer Kinn und Wangen verschmierte. Ihr Kleid war zerrissen und blutgetränkt. Ich musste genauso aussehen. Wir brachen beide in ungebändigtes Lachen aus.
Classinia löste sich von Rebecca, mit der sie sich während der Fahrt den Beifahrerplatz geteilt hatte, und bettete sie vorsichtig in den Schalensitz. Eine Sekunde später kniete sie über mir, den Hintern gegen das Lenkrad gepresst, und schob mein Sweathirt über den BH. Ich riss am Stoff ihres zerfetzten Kleides und legte glatte, feste Schenkel frei.
Da hörte ich von rechts ein mattes Stöhnen. Rebecca regte sich. Sie öffnete die Augen, blinzelte, verzog schmerzhaft das Gesicht und wischte sich Erbrochenes aus dem Mundwinkel. Im selben Moment sah sie, was Classinia und ich miteinander trieben. Ihre Augen wurden groß. Noch größer wurden sie, als Rebecca erkannte, wo sie war, sich ein wenig aufrichtete und den Lamborghini anstaunte.
»Whow!«, ächzte sie. »Ich hab viel verpasst, oder?« …

Ich hoffe, ich habe euch damit auch einen kleinen Einblick in die Exposéarbeit geben können. Die Arbeit bei ZAUBERMOND ist nie autoritär, es ist ein Miteinander vieler kreativer Köpfe, die letztlich alle ein Ziel haben: Euch spannende Unterhaltung zu liefern!

In diesem Sinne:
Keep the Horror burning!

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Warum es nur zwei Bücher von SONDERBERG & CO. gibt

von am 1. Mai 2016

Hallo ihr Lieben, inzwischen ist es zwei Monate her, dass der neue Sonderberg-Fall erschienen ist. Einige Rezensionen, in denen die Folge sehr gut wegkommt, habe ich ja schon in den letzten Beiträgen verlinkt. Heute findet ihr am Ende dieses Beitrags deshalb mal den Link zu einem Verriss! Abwechslung muss schließlich sein … Zumal ich – wen wundert’s? – mit dem Urteil des Rezensenten in keinem einzigen Detail übereinstimme. 🙂

Vorher möchte ich auf ein gänzlich anderes Thema eingehen: Die Buchreihe SONDERBERG & CO.! Schließlich hat vor einigen Jahren alles einmal so begonnen – mit einem Konzept für eine Buch- und Hörspielreihe, das ich dem Chefredakteur des Droste-Verlags in Düsseldorf auf den Tisch legen durfte und das bei ihm offenbar einen bleibenden Schaden, … äh, Eindruck hinterließ.

Der Droste-Verlag entschloss sich, SONDERBERG & CO. zu machen. Aber nur als Buchreihe. Na, so eine Entscheidung kann mich ja nicht stoppen, dachte ich. Dann mache ich die Hörspiele eben selber. Flugs war der Vertrag unterzeichnet. Etwa ein Jahr später waren vier Hörspielskripte sowie das erste Romanmanuskript fertig. Letzteres entstand unter großer Mithilfe von Andrea Trudewind, ihres Zeichens Archivarin im Düsseldorfer Stadtarchiv. Von ihr erfuhr ich mehr über das Düsseldorf des 19. Jahrhunderts, als man in allen Büchern der Welt lesen kann … So hatte das Polizeirevier am Düsseldorfer Markt damals nach dem Aufbau des ersten Telefonnetzes die Rufnummer 48 – so wie in den Hörspielen … Und auch die schwimmende Rheinbrücke aus dem zweiten Fall gab es wirklich (inklusive des Plans, den Rhein einfach zuzuschütten, anstatt sie zu ersetzen). Und die Nervenheilanstalt, die im fünften Fall eine Rolle spielt, … und … und … und …

Aber zurück zum ersten Romanmanuskript. Es wurde von einer Dame namens Diana Steinbrede hervorragend lektoriert (danke nochmal, Diana, für die tolle Zusammenarbeit, auch beim zweiten Fall!) und anschließend veröffentlicht … und damit begann das Unglück! Leider – aus meiner Sicht – bestand der Droste-Verlag nämlich darauf, den Büchern eigene Coverillustrationen zu verpassen, obwohl die ersten Hörspiele bereits erschienen waren und der „Look“ der Reihe (geprägt durch die hervorragenden Illustrationen von Stefanie Bemmann) längst feststand. Alles Bitten und Betteln von meiner Seite half nichts. Bücher und Hörspiele mussten sich also optisch voneinander getrennt ihre Käufer suchen. Und es kam noch schlimmer: Kurz vor dem Erscheinen des ersten Bandes der neuen „kultverdächtigen historischen Kriminalreihe von Dennis Ehrhardt“ war der Chefredakteur, der so für die Reihe gekämpft hatte, nicht mehr da – und die Liebe zum neuen Krimi-Projekt beim Verlag nach meinem Empfinden spürbar abgekühlt.

Dazu muss man sagen, dass solche Entwicklungen in der Branche nicht ungewöhnlich sind. Bücher werden von Menschen gemacht und gemocht. Und wenn jemand, der an entscheidender Position saß und SONDERBERG von Anfang an mochte und wollte … wenn dieser Jemand plötzlich fehlt, ist das natürlich nicht gut für die Reihe. Das kann große Auswirkungen auf den Erfolg haben. Obwohl mich von Lesern immer wieder positives, manchmal sogar ehrlich enthusiastisches Feedback erreichte, verkauften sich die Bücher nicht so gut, wie ich es mir erhofft hatte. Eine Pi-mal-Daumen-Regel der Branche besagt, dass ein Hörbuchtitel im Verkauf ungefähr 10% der Auflage des Original-Buchtitels erreicht. Bei SONDERBERG & CO. war das Verhältnis von Beginn an eher umgekehrt. Ich verkaufte mehr Hörspiele als der Droste-Verlag Bücher. Das fand ich so deprimierend, dass ich dem Verlag anbot, den Vertrag, der eigentlich über drei Bücher lief, nach dem zweiten Buch aufzulösen. Droste war natürlich einverstanden, ja, vielleicht sogar erleichtert, aber meine Hoffnung, sich auf eine Komplettauflösung einigen zu können, erfüllte sich nicht. Erst vor einigen Monaten wurden die beiden Titel vom Markt genommen, und damit sind die Rechte nun (endlich) an mich zurückgefallen.

Tja. Mein ursprünglicher Plan, Buch und Hörspiel eines Falles stets zusammen zu veröffentlichen, war damit also schon gestorben, bevor der erste Buch erschienen war. Shit happens. Aber was tun? Die Buchreihe jetzt nachträglich um sechs Romane ergänzen – Jahre, nachdem ich die entsprechenden Hörspiel-Geschichten erdacht und „geschrieben“ habe …? Das halte ich für keine gute Idee. Und so beschränke ich mich im Augenblick darauf, die beiden bisherigen Sonderberg-Bücher erst einmal im eigenen Verlag lieferbar zu machen. Mit  dem richtigen Cover, bitteschön! Der erste Fall, „Schloss Jägerhof“, ist ja zumindest schon als E-Book erschienen. Die Print-Ausgaben werden folgen, sobald es meine Zeit zulässt. Denn ja – ich glaube an diese Buchreihe! Selbst wenn ich verflixt noch mal der Einzige sein sollte, der es tut! :-))

Auf jeden Fall habe ich es im Gefühl, dass es für Sonderberg irgendwann auch einmal in Buchform mit neuen Fällen weitergehen wird. Es muss nur die richtige Zeit und die Gelegenheit kommen, damit sich die Tür der Detektei auch für Leser wieder öffnet …

Mit diesen melancholischen Worten schließe ich das Geschichtsbuch für heute und präsentiere zum Abschluss den versprochenen Link zur Rezension von Detlef Kurtz. Es gibt darin einige sehr verstörende Sätze, zum Beispiel: „Die Regie mischt ein wenig seltsam.“ Bisher dachte ich, Regie und Mischung sind im Hörspiel zwei völlig getrennte Arbeitsbereiche. Hm …

Bis zum nächsten Monatsersten!

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